Textatelier
BLOG vom: 28.11.2005

Kartoffelsorte Linda: Die „Königin“ wird nicht entthront

Autor: Heinz Scholz
 
Als bekannt wurde, dass die Saatgutfirma Europlant die beliebte Kartoffelsorte Linda vom Markt nehmen wolle, legten sich Bauern und Verbraucherschützer daraufhin gewaltig ins Zeug, um die „Königin der Kartoffeln“ zu retten. Ich rieb mir verwundert die Augen und wollte genau wissen, warum die Linda bei der Firma in Ungnade gefallen ist.
 
Dazu Fakten zur Vorgeschichte: Jeder Bauer, der Kartoffelsorten anbaute, musste bisher an die Saatgutfirma Linzenzgebühren zahlen. Die Firma hat seit 1974 die Rechte an der Knolle. Ende 2004 lief das Patent (Sortenschutz) ab. Die angeblich schlauen Manager von Europlant meldeten die Zulassung von Linda beim Bundessortenamt ab. Die festkochende Sorte sollte vom Markt verschwinden. Viele Bauern hegen den Verdacht, dass die würzige, buttrig im Geschmack und wunderbar gelbfleischige Linda durch die neue Marke „Belana“ ersetzt werden soll. Der Europlant-Geschäftsführer Jörg Renatus sieht das anders. Er ist fest überzeugt, dass Belana sich durchsetzen werde, weil diese weniger anfällig für Krankheiten sei und man mit weniger Pflanzenschutzmittel auskomme. Ob die Verbraucher die neue Sorte akzeptieren, ist denen wohl wurst. Es geht ja hauptsächlich um die „Kohle“.
 
Freunde der Linda, an vorderster Front steht Landwirt Karsten Ellenberg, beantragten eine Verlängerung der Auslauffrist für den Sortenschutz bis Juni 2007. Die Fristverlängerung zur Vermehrung von Linda wurde vom Bundessortenamt zugestimmt. Dagegen legte wiederum Europlant Widerspruch ein. Dieser wurde jedoch abgelehnt.
 
Aber damit noch nicht genug: 3 Bauern wollten in eigener Regie ohne Europlants Einverständnis die Sorte vermehren und standen bei der Landwirtschaftskammer Hannover in einem nicht öffentlichen Prozess unter Anklage. Die Bauern begründeten ihre Vorgehensweise damit, dass nach 30 Jahren – also nach Ablauf des Sortenschutzes – jeder die Kartoffeln vermehren könne. Aber hier dachten die Bauern falsch! Das Gericht entschied zugunsten von Europlant. Die Bauern dürfen die Kartoffeln nicht in Umlauf bringen. Die Kartoffeln bleiben im Keller, wie man so sagt oder anders ausgedrückt: konfisziert. Dann wurde weiterverhandelt.
 
Schliesslich schloss Europlant einen Vergleich mit den Linda-Bauern. Die Meldung vom 15. November 2005 lautete: „Linda bleibt 2 Jahre auf dem Markt. Wir haben uns über Vertragsstreitigkeiten geeint.“ Kernpunkte der jetzigen Einigung zwischen Europlant und den Bauern sind:
 
„Die Beschlagnahme der Kartoffeln wird aufgehoben. – Die Aufbereitung der Kartoffeln findet auf den Höfen der Bauern statt. – Die Landwirte übergeben die streitigen Kartoffeln an Europlant, nachdem Europlant zugesagt hat, diese als Pflanzkartoffeln 2006 in D zu vermarkten und zu marktüblichen Preisen zu verkaufen ...“
 
Fazit: Es ist unglaublich, dass nach Ablauf des Sortenschutzes die Kartoffel nicht weiter angebaut werden darf. Liebhaber der Kartoffel Linda, zu denen ich mich zähle, können nur den Kopf schütteln vor einer solchen Machtdemonstration einer Saatgutfirma.
 
Die Kartoffelsorte Linda habe ich übrigens in meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Verlag Textatelier.com) erwähnt, dazu gibt es umfangreiche Infos und Anekdoten über die Kartoffel (mit Tricks und Tipps beim Kartoffeleinkauf). Die Kartoffel wurde früher verachtet und galt als Speise der Armen. Es ist erfreulich, dass es jetzt mehr Kartoffelfreunde gibt als früher. Als das „Aus“ der Sorte Linda bekannt wurde, entstand sofort der „Freundeskreis Linda“. Ein Aufkleber „Rettet Linda“ wurde verkauft und der Erlös auf ein Solidaritätskonto überwiesen. Mit soviel Solidarität und Publizität hatten die Manager von Europlant nicht gerechnet. Es ist tröstlich, dass so mächtige Firmen nicht alles mit den Landwirten und Verbrauchern machen können. Ob der Vergleich dadurch zustande kam, weil die Saatgutfirma einen Imageverlust befürchtete, ist wohl anzunehmen.
 
Infos und Quellen
„Die Königin der Kartoffeln ist gerettet“, „Badische Zeitung“ vom 16. 11. 2005.
„Richtig gut einkaufen. Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag“ von Heinz Scholz, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005 (s. a. Pressespiegel und Reaktionen zum Buch auf dieser Homepage).
 
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