Textatelier
BLOG vom: 22.12.2005

Lichtblicke in Leiden NL – „Stad van Ontdekkingen“

Autor: Emil Baschnonga
 
Mein letzter Flug dieses Jahr und zugleich der 1. vom Heathrow Terminal 1 (London) um 6.25 Uhr morgens brachte mich vor 2 Wochen nach Amsterdam und anschliessend per Bahn nach Leiden. Die Holländer behalten dieses historische Kleinod am liebsten für sich. Jetzt, mit der 400. Geburtsfeier von Rembrandt van Rijn aus Leiden, wird sich das ändern. Die Feiern haben schon am 15. Dezember 2005 begonnen. Das schmucke Städtchen, ganz in der Nähe der Hauptstadt Den Haag, ist festlich herausgeputzt.
 
Die Sauberkeit und der Ordnungssinn der Holländer sind augenfällig. Dies stellte ich wieder einmal fest, als ich zuerst im Bus vom Bahnhof Leiden zu einem Geschäftsbesuch ins nahe Rijnsburg fuhr. Die polierten Häuser glänzen und strotzen vor Behaglichkeit. Täglich wird das Laub weggewischt. Die minutiös unterhaltenen Vorgärten erfreuen das Auge. Inzwischen war auch der Himmel von allen Wolken leergefegt. Hinter den glitzernden Fensterscheiben fehlen die Vorhänge. Man darf dem Holländer ungeniert in die Stube gucken.
 
Kurz vor Mittag war ich wieder in Leiden, eine Universitätsstadt seit 1575, ein Jahr nach dem Abzug der Spanier. So viele Velos auf einmal, beim Bahnhof in langen Reihen abgestellt, erstaunten mich. Es muss mehr Velos geben als Einwohner (115 000). Das sind keine Trendvelos, sondern zumeist alte „Göppel“, worauf Alt und Jung geräuschlos vorwärts kommt. Gern hätte auch ich eines gesattelt, denn als Fussgänger kann es gefährlich werden. Rasch kam mir wieder in den Sinn, dass man am besten abseits der Radfahrwege bleibt.
 
Nebst Radfahren ist Schlittschuhlaufen eine nationale Leidenschaft, und Leiden ist für seine Schlittschuhbahn bekannt. Für mich hingegen ist Schlittschuhlaufen tabu und mit einem anderen Leiden verbunden, da ich dabei oft ausgerutscht bin – schmerzhaft.
 
Der Plakatanschlag „Leiden Stad van Ontdekkingen“ (Stadt der Entdeckungen) war mir bedeutend angenehmer und bekömmlicher. Die Stadt ist von Grachten durchzogen, gesäumt von ehrwürdigen Gebäuden, die durchaus mit vielen in Italien wetteifern können. Ich pendelte über die vielen Brücken, worunter auch etliche Zugbrücken, von einer zur andern Strassenseite. Ab 2 Uhr begann sich der Sonneneinfall zu verflachen. Es dämmerte schon in den Seitengässchen. Das drängte meine Augen zur besonnten Höhe der Kirchen und Giebel.
 
Auch die Hauswände haben es in Leiden in sich: Viele sind mit altholländischen Versen und Inschriften beschickt. Auch moderne Poesie fehlt nicht. Ich notiere diesen Vers, auf Englisch von ee.cummings (1894–1962), auf die weisse Hauswand gepinselt: 
„in the mirror
i see a frail man dreaming
dreams
dreams in the mirror”
Eine andere Inschrift auf holländisch an einem Prachtbau (ich hätte mir den Namen merken sollen!) konnte ich nur sehr bruchstückhaft entziffern: Es ging um Hungersnot und Tod und Gott.
 
Weiter unterwegs entdecke ich wieder einen fesselnden Lichtblick unter einem Giebel und lese die vergoldete Inschrift unter der Skulptur eines edlen Türken von Neptun und Hermes flankiert: „IN DEN VERGULDEN TURK“ (beim vergoldeten Türken). Die Sonne hatte es aufs Gold abgesehen.
 
Gern hätte ich mehr über die Geschichte Leidens erfahren. Doch heute wollte ich den Lichtertag geniessen, kein Gässchen auslassen, und da und dort und immer wieder im Wasserspiegel der Grachten den welligen Abglanz der Häuser auf mich einwirken lassen. Ein 2. Mal bewundere ich das klassische Gebäude, das „Leidse Schouburg“ (das Stadttheater).
 
Eines wollte ich nicht missen, ehe ich mich zum Rückflug anschickte. So betrat ich die altmodische Konditorei, wie aus einem Bilderbuch, und merkte erst beim Kuchen, wie hungrig ich geworden war. Man lebt also nicht nur von Augen allein.
 
Jetzt, wo ich diese „Leidse“-Impression niederschreibe, höre ich Bach-Kantaten. Das BBC 3 ist diese Woche diesem Komponisten gewidmet. Das passt ausgezeichnet zu Leiden und Rembrandt van Rijn.
 
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