Textatelier
BLOG vom: 24.12.2005

Weihnachtsbräuche (I): Süsser die Glocken nie klingen

Autor: Heinz Scholz
 
Weihnachten ist das Fest der Liebe, der Freude, der Besinnung und der Hoffnung. Für viele ist Weihnachten die schönste Zeit des Jahres. Ist dies wirklich so? Wir werden sehen.
 
Verarmung greift um sich
Schon in der Vorweihnachtszeit entdecken viele Privatpersonen, aber auch Zeitungsredaktionen, ihr Mitgefühl für Arme und Aussenseiter der Gesellschaft. Da wird gesammelt, was die Kassen halten. Fast jeden Tag erhalten wir mit der Post Aufforderungen von allen möglichen Organisationen zum Spenden. Die Sammler von Spendengeldern wissen genau: In der Vorweihnachtszeit sitzt das Geld locker, da in dieser seligen Zeit viele den Hang zur Menschlichkeit entdecken. Während des übrigen Jahrs sind weniger Spender auszumachen.
 
Ich finde seriöse Sammlungen wie die Aktion „Hilfe zum Helfen“ der „Badischen Zeitung“ eine Notwendigkeit (es ist schon die 33. jährliche Aktion). Man hört nämlich jetzt immer öfter, dass die Verarmung auch bei uns um sich greift. Es geht um Menschen, die wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit und anderer Schicksalsschläge in Bedrängnis geraten sind. Leidtragende sind meistens Kinder. „Es gibt heute Kinder, die nichts zu Essen bekommen und Hunger leiden“, berichtete die Jugendamtsleiterin Karin Körner aus Lörrach über ihre Wahrnehmungen in Kindergärten und Schulen. Der Erlös der Sammlung wird dann unter den von der Caritas und Diakonie, Jugend- und Sozialamt vorgeschlagenen 700 Fällen zur Hilfe verteilt.
 
Rita Lorenzetti aus Zürich berichtet mir von ihren eigenen Erfahrungen: „Neben der Weihnachtsgeschichte der heiligen Familie wurden uns Kindern viele Geschichten erzählt, deren Hauptfiguren arm waren. Sie handelten von Kindern, die froren oder sogar krank waren. Auf geheimnisvolle Art wandelte sich dann diese Armut. Es geschahen Wunder. Weihnachtswunder! Auch Arme konnten Weihnachten feiern. Diese Geschichten sollten uns für die Not anderer einfühlsam machen.
 
In diesem Sinn freute ich mich, dass ich eines der Kinder war, das neue Winterschuhe einlaufen durfte. Es wurde in unserem Dorf eine Sammlung für Kinder im kriegsversehrten Deutschland organisiert. Da die Kleider und Schuhe wegen der Zollformalitäten nur zollfrei reisen durften, wenn es gebrauchte waren, organisierten Leute aus dem Dorf den Ankauf neuer Schuhe und überliessen sie uns Schülern zum befristeten Gebrauch. Da sagte dann niemand, wir dürften nicht in Pfützen stehen. Es war der Sinn, dass die Schuhe bald einmal einen Kratzer oder einige Flecken bekamen. In meiner ganzen Jugend habe ich nie mehr so behagliche Winterschuhe getragen wie damals Ende Herbst 1945. Wer ist wohl in ,meinen’ Schuhen gegangen? Das wüsste ich gern.“
 
Papst Benedikt XVI. sorgt sich um Weihnachten
Weihnachten wurde in den letzten Jahrzehnten gnadenlos kommerzialisiert. Schon Monate vor Weihnachten gibt es die ersten Lebkuchen und Plätzchen in den Geschäften, 4 Wochen vor Weihnachten erleuchten Weihnachtsbäume die Geschäfte, und es ertönen gnadenlos Weihnachtslieder. Aber nicht nur das: In den Vorgärten stehen schon lange vor dem Fest strahlende Weihnachtsbäume. Auch die Illumination von ganzen Häuserfronten, mit denen die USA die Europäer beglückten, ist bei uns immer mehr üblich. Zehntausende Lampen erhellen so manches Haus und füllen die Kassen der Stromproduzenten. Ich finde, dadurch geht die ganze Weihnachtsatmosphäre flöten.
 
Laut einer Umfrage von Radio Berg, Köln (www.radioberg.de) zur Illumination von Häusern beurteilten 25 % der Befragten diese als positiv („das stimmt mich weihnachtlich“), 21 % finden diese kitschig, 23 % denken dabei an die Stromverschwendung und 30 % ist es egal.
 
Inzwischen gibt es schon Firmen, die das professionell planen und fertigen. Wer sein Haus im rechten Licht erstrahlen lassen möchte, der kann sich die Utensilien in diversen Geschäften oder übers Internet kaufen.
 
Papst Benedikt XVI. warnte kürzlich vor dem Konsumrummel. Beim Sonntagsgebet in Rom sagte er am 11. Dezember 2005: „In der heutigen Konsumgesellschaft leidet die Weihnachtszeit unter einer Art Verschmutzung durch den Kommerz, der den authentischen weihnachtlichen Geist zu verfälschen droht.“
 
Die Geschäftsleute hören dies nicht so gerne. Ist doch der Dezember der umsatzträchtigste Monat des Jahres (in Deutschland werden in diesem Jahr für rund 68 Milliarden Euro Weihnachtsgeschenke gekauft). Den Kaufleuten ist es egal, wenn in ihren Geschäften ein Gedränge und eine Hektik ist, dass dem Kunden Hören und Sehen vergeht. Das einzig Wichtige ist doch, dass die Kassen sich füllen. Und da wird auch der Papst nichts ändern können.
 
Früher sausten wir verzweifelt von Geschäft zu Geschäft, um die passenden Geschenke zu ergattern. „Das Rechte nach Bedarf zu schenken, macht immer nötig, scharf zu denken“, sprach einst Eugen Roth, und dies war auch mein Leitspruch. Aber bald hatte ich keine Lust mehr in überfüllten Konsumtempeln herumzusausen. Wir Erwachsenen haben den vorweihnachtlichen Stress des Geschenkebeschaffens schon vor vielen Jahren ad acta gelegt. Wir können uns ja das ganze Jahr beschenken. Walter Hess sieht das genauso. „Wir haben im erweiterten Familienkreis alle Weihnachtsgeschenke (Austauschaktionen) abgeschafft, lassen uns nicht stressen und geniessen die langen Abende bei Kerzenlicht und lesend oder diskutierend am Cheminéefeuer.“
 
Heute beschenken wir nur unseren Enkel Manuele. Es ist dann immer wieder ein schönes Erlebnis, wenn man in die leuchtenden Augen des Kindes blickt, wenn er den strahlenden Weihnachtsbaum sieht und die Geschenke auspackt.
 
Der geklaute Weihnachtsbaum
Früher war es so, dass wir den mit Kugeln, Plätzchen, Schokoladenzapfen und Kerzen geschmückten Weihnachtsbaum nicht vor dem Heiligen Abend sehen durften. Es wurde sogar das Schlüsselloch verhängt, um ja nicht die Aktivitäten der Erwachsenen zu sehen.
 
Den ungeschmückten Baum bekamen wir Kinder jedoch immer zu sehen. Nur, woher die Bäume stammten, wussten wir nicht. In der Nachkriegszeit konnten sich die armen Familien, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, keinen Baum leisten. Er wurde organisiert, oder es gab ein Bäumchen von einem gutgesinnten Bauern. Einmal wurde ich – damals war ich vielleicht 10 Jahre alt – sogar in der Dämmerung von meinem Stiefvater in den etwa 1½ km entfernten Wald geschickt, um einen Baum zu „organisieren“. Ich schlich mich mit einer kleinen Säge in den mir bekannten Wald und suchte mit Luchsaugen einen Tannenbaum aus, den ich dann absägte. Ab und zu hörte ich die Tiere des Waldes. Es war eine unheimliche Stimmung, und mein Herz klopfte gewaltig in der Brust. Bei der Fällaktion und später, als ich mich über das vom Mond beschienene freie Feld in Richtung Wohnung pirschte, war ich immer bedacht, dass ich keinem Förster über den Weg lief. Aber alles ging gut. Die Familienmitglieder waren mit dem geraden Wuchs des Baums zufrieden.
 
In den folgenden Jahren brauchte ich nicht mehr den Wald aufzusuchen, um ein Bäumchen zu klauen. Man hatte wieder etwas Geld, um eine Weisstanne oder gewöhnliche Fichte zu kaufen.
 
Ökologische Weihnachtsbäume
23 Millionen Christbäume stehen an Weihnachten in deutschen Wohnzimmern. 80 % der Bäume stammen aus Plantagen, die kräftig gedüngt und mit Pestiziden besprüht wurden. Dies berichtete „Robin Wood“. Diese Umweltschutzorganisation empfiehlt Bäume aus ökologischer Waldwirtschaft zu kaufen. Die Bäume erkennt man an dem Siegel des Naturlandverbandes oder des „Forest Stewardship Council“ (FSC). Diese Zertifikate erhalten nur Forstbetriebe, die auf Kahlschläge, Düngungen, Entwässerungen und Pestizide verzichten. Biolandbetriebe bieten ebenfalls ökologische Bäume an.
 
Bei meinem geklauten Weihnachtsbaum kann ich heute noch beruhigt sein, stammte doch dieser aus einem natürlichen Areal und war garantiert nicht behandelt.
 
Seit wann gibt es Weihnachtsbäume?
Weihnachtsbäume soll es schon vor 400 Jahren gegeben haben. Es wird vermutet, dass der erste Christbaum, Gabenbaum oder Bescherbaum in Strassburg auftauchte. Der Baum wurde mit vielfarbigen Papierstreifen, Äpfeln, flachen kleinen Kuchen und Zuckergebäck behängt. Kerzen waren damals noch nicht in Mode. Johann Konrad Dannhauer, Pastor am Strassburger Münster, wetterte schon damals (1642) gegen dieses „Kinderspiel“. Zunächst finden sich mit brennenden Kerzen bestückte Bäume in den Wohnstuben evangelischer Familien (18. und 19. Jahrhundert), etwas später dann auch in katholischen Familien.
 
In frühen Jahren hatten wir immer Wachskerzen am Baum. Hier musste man sehr aufpassen, dass nichts in Brand geriet. Ab und zu fing ein Zweig an zu schmoren, der dann rechtzeitig gelöscht wurde. Wie in www.swissworld.org nachzulesen ist, haben sich die elektrischen Kerzen in der Schweiz nicht durchgesetzt.
 
„Hilfe! Der Baum brennt! Gefahr kann minimiert werden.“ Dies war in der „Badischen Zeitung“ vom 19.Dezember 2005 zu lesen. Es wurden Tipps gegeben, um ein Abfackeln des Baumes zu vermeiden. Hier sind einige wichtige Tipps: Kerzen beim Verlassen des Zimmers auslöschen, Baum mit den brennenden Kerzen soll nicht in der Nähe von Gardinen stehen, Wachskerzen nicht zu sehr herunterbrennen lassen, Kinder über die Gefahren aufklären.
 
Im Dezember erhöht sich übrigens die Zahl der Wohnungsbrände gegenüber anderen Monaten um etwa 20 %.
 
Weihnachtswahnsinn in New York
Berühmte Christbäume stehen auf dem Petersplatz in Rom, auf dem Trafalgar Square in London. Der angeblich schönste Weihnachtsbaum der Welt steht im New Yorker Rockefeller Center. 27 000 Lichter, die durch 7 km Kabel verbunden sind, erhellen die 5. Avenue zwischen 49th und 50th Street. Der Sender „Kabel 1” berichtete in seiner „K1-Reportage“ am 22. Dezember 2005 über den „Weihnachtswahnsinn“ in New York. Hier werden alle Dekorationsrekorde gebrochen. So staunen die Besucher über die gigantischen Lichtinstallationen, haushohen Christbäume und 5 Meter grossen Nussknacker. Übrigens kommen 25 % aller New-York-Besucher um die Weihnachtszeit in diese Stadt und lassen dort 3,7 Milliarden Dollar in die Kassen fliessen. Wenn nicht gerade gestreikt wird.
 
Der Weihnachtsbaum hing von der Decke
Einen seltsamen Brauch aus den Hardt-Dörfern in der Nähe von Karlsruhe weiss Albert Hausenstein in der Arbeit „Vorweihnachtliches in den badischen Hardtdörfern“ (Badische Heimat, 32. Jahrgang, 1952, Heft 4) zu berichten.
 
In Knielingen und Neureut stand früher der Weihnachtsbaum nicht auf dem Boden oder auf dem Tisch, sondern er hing an einer Schnur vom Deckbalken der Stube herab. An das freihängende, zugespitzte Stammende wurde ein rotbackiger Apfel gesteckt. Die Baumzweige wurden nicht mit Lametta geschmückt, sondern mit Papierstreifen, Zuckergebäck, Äpfeln, Feigen, Zimtsterne und Kerzen aus Bienenwachs. Als in Liedolsheim die Weihnachtstanne noch nicht in Gebrauch war, behalf man sich mit einer schön bebänderten Zwiebel, die von der Decke herunterhing. Keimte diese bis Neujahr aus, war dies ein untrügliches Zeichen, dass heiratslustige Mädchen im kommenden Jahr unter die Haube kämen. Ältere Semester beiderlei Geschlechts hatten auch etwas vom Zwiebelaustreiben: Sie blieben das ganze Jahr gesund.
 
Im Tirol gab es früher sonderbare Bräuche. So lief beispielsweise eine Magd mit einem Lebkuchen in der Hand um das Haus. Der erste Mann, der ihr begegnete, wurde im nächsten Jahr ihr Ehemann. In der Heiligen Nacht ging ein Mädchen mit einer Brotrinde zu Bett. Anstelle des Nachtgebetes sagte sie: „Jetzt hab´ ich Brot bei mir – wenn nur der Liebste es ässe mit mir.“ War am nächsten Morgen die Brotrinde angenagt, dann durfte sie auf eine Hochzeit hoffen.
 
Gesang, Geschenke und Christmette
Nach dem gemeinsamen Essen am Heiligen Abend versammelten sich alle Familienmitglieder um den Weihnachtsbaum. Mit gierigen Augen versuchten wir Kinder schon das eine oder andere verpackte Geschenk mit unseren Blicken zu identifizieren. Aber bevor der spannende Augenblick kam, musste gesungen werden. Nach dem „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ war „Ihr Kinderlein, kommet, O kommet doch all!“ dran, dann folgte das feierliche Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Ab und zu gab es noch eine „Zugabe“. Aus voller Brust sangen wir dann „Süsser die Glocken nie klingen“ (keiner von uns wusste damals, dass dies ein Schlesisches Volkslied ist).
 
Übrigens wurde das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ von Franz Xaver Gruber (Text) und Joseph Mohr (Melodie) 1818 in der Pfarrei St. Nicola in Oberndorf (Österreich) aus der Taufe gehoben. Heute gibt es 300 Übersetzungen auch in Dialekte. Wer nicht genug von Weihnachtsliedern bekommen kann, dem sei das Internet empfohlen. Unter http://ingeb.org/catxm.html sind 150 Weihnachtslieder in verschiedenen Sprachen aufgeführt.
 
Bei meinen Schwiegereltern war es Brauch, ebenfalls vor der Bescherung zu singen. Da wurde ein alter Plattenspieler hervorgekramt und uralte Schellackplatten mit Instrumentalstücken aus der Weihnachtszeit aufgelegt. Dann wurde gesungen, und wenn die Töne noch so falsch aus den Kehlen sprudelten.
 
Die Gesangsübungen gingen dann später bei der Christmette weiter. Wir mussten damals die warme Stube verlassen und einen weiten Weg zur Dorfkirche bei teilweise bitterer Kälte antreten. Aber in der Kirche wurde es uns bald feierlich und warm zumute. Es waren nicht nur die Lieder, sondern auch die feierliche Orgel- und Geigenmusik, die einen unglaublichen Zauber verbreiteten.
 
Im 2. Teil erfahren Sie etwas über den Brauch mit der Mistel und was so mancher Blogger über Weihnachten zu sagen hat. Dabei kommt Freude auf, aber nicht nur ...
 
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