Textatelier
BLOG vom: 25.03.2007

Der Rheinfall bei Schaffhausen: Wasser- und Lebensläufe

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
„Achtung!“ ruft die Strömung und macht aufmerksam, dass nach 100 Metern der Absturz in 21 Meter Tiefe bevorstehe. Die junge Forelle aus dem Tomasee nimmt allen Mut zusammen und befolgt die Weisung, sich in der Tiefe zu halten, damit sie den wuchtigen Fall lebend überstehe.
 
Wir befinden uns am Rheinfall bei Schaffhausen, diesem angeblich grössten Wasserfall Europas und gleichzeitig in der Geschichte des Tonkünstlers Peter Christoph Haessig, der sie in den 60er- oder 70er-Jahren für einen Tonkünstler-Wettbewerb gestaltete.
 
Es geht da um eine Forelle, die im klaren Wasser der Rheinquelle zur Welt gekommen ist. Jung und neugierig will sie dem Wasserlauf des jungen Rheins folgen und zum Meer gelangen.
 
In dieser feinfühligen Geschichte können wir miterleben, wie sie die Welt entdeckt, Fragen stellt, sich wundert, sich freut. Sie spricht mit Krebs, Fisch, mit Brückenpfeilern, einem Weinblatt, mit Schiffen und einem fortgeworfenen, im Wasser liegenden Fahrrad. Sie bewundert Städte, an denen sie vorbei kommt. Sie hört Kirchenglocken. Sie wird auf singende und tanzende Menschen aufmerksam. Sie spricht zu allen, die ihr nahe kommen. In Basel wundert sie sich dem Fährimaa gegenüber, wie ölig das Wasser hier sei und hört: Man habe sich daran gewöhnt.
 
In Köln noch mehr schmutziges Wasser. Da sucht sie das Gespräch mit einem alten Hecht und beklagt sich über die noch nie erlebte Verschmutzung und bekommt die gleiche Antwort wie in Basel, zusätzlich noch den eindringlichen Rat zur Umkehr und Heimkehr.
 
„Kehre zurück und erzähle Deinen Freunden, was du auf deiner Reise gesehen und gehört hast und vergiss nie, was Du an Freunden kennen gelernt hast. Es ist wertvoll, was du auf deiner langen Reise gesehen hast. Du weisst  jetzt, dass jeder seine Aufgabe hat, egal ob gut oder nicht. Aber jeder muss damit fertig werden. Geh zurück!“
 
Diese Geschichte trage ich seit Jahrzehnten in mir und wenn ich an den Rhein komme, erwacht sie aus dem Dämmerschlaf. So auch am letzten Sonntag. Da war ich mit Primo nach Schaffhausen unterwegs. Im Eisenbahnabteil nebenan fuhren junge Leute aus einem fernen Land ebenfalls dorthin. Sie unterhielten sich und lachten verhalten. Nie schauten sie aus dem Fenster. Landschaft und Dörfer interessierten sie nicht. Kurz vor Neuhausen, der Rheinfall war bereits durch die noch laubfreien Bäume hindurch sichtbar, erhob sich Primo und deutete ihnen an, es sei hier etwas zu sehen. Eine gemeinsame Sprache war nicht vorhanden. Zögernd standen auch sie auf. Einer der Männer zog in aller Gemütlichkeit seinen Fotoapparat aus der Hosentasche und schaffte es gerade noch, diesen 150 Meter breiten Wasserfall zu fotografieren. Primo, der gerne Erlebnisse schafft und diese Leute etwas aus der Reserve holen wollte, rief noch das Wort „Energy“ zu ihnen herüber, um anzudeuten, was das Wasser dort unten produziere. Dann huschte ein flüchtiges Lächeln über die Gesichter und sie kehrten rasch an ihre Plätze und zu sich selbst zurück. Vielleicht denken sie einmal nur dank der Foto an diesen Augenblick zurück. Das schäumende Wasser schien sie nicht besonders zu bewegen, und die Forelle und ihre Geschichte waren ihnen sowieso unbekannt.
 
Wenige Minuten später kam uns der Rhein auf der höheren Ebene entgegen. Die Bahn führt seinem Ufer entlang. Ruhig und offensichtlich unbesorgt, fliesst er dort dahin, dem Rheinfall entgegen. Beinahe scheinheilig. Ob die Strömung den Fluss auch orientiert, was demnächst bevorsteht?
 
So sehe ich den Lauf unser aller Leben. Auf ruhige Zeiten folgen unerwartete Turbulenzen. Wir werden geschüttelt und müssen uns auf anderen Ebenen zurechtfinden. Wir werden mit neuen Bedingungen konfrontiert, aber auch erfrischt und mit Energie aufgeladen. Dann geht es weiter. Die jungen Leute neben uns befanden sich ziemlich sicher in einer beschaulichen Phase, mit sich selbst zufrieden, geborgen in Freundschaft, auch in einem fremden Land.
 
Und wir? Wir überblicken unser auslaufendes Leben und erkennen jetzt die Geraden, die Windungen, die Wasserfälle, die Stromschnellen und ahnen den ausufernden Fluss. Und trotzdem sind wir immer noch voller Neugierde und Lebensfreude.
 
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