Textatelier
BLOG vom: 17.05.2008

Der Wohnungswechsel schenkt auch neue Perspektiven

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Der Altstetter Fröschenbrunnen an der Eugen-Huber-Strasse bei der Abzweigung Friedhofstrasse imponiert mir. Es steht da zu lesen: „Fröschen-Brunnen, Geschenk des letzten Altstetter Gemeinderats im Jahr 1933“. (Altstetten wurde damals in die Stadt Zürich eingemeindet.)
 
Weiter ist aus der Tafel beim Brunnen zu erfahren: „Die Altstetter nannte man früher „Frösche“, die zwischen Limmat und Ried lebten. Dieses Ried, heute Albisrieden, ist seit 1934 ebenfalls in die Stadt Zürich eingemeindet und unser Nachbarquartier.
 
Und hieher gehöre ich nun seit Anfang Mai 2008. Ich bin auf dem Weg, eine Altstetterin zu werden. Als ich unserer Tochter Letizia den schönen Brunnen mit der grossen Froschfigur schilderte, lachte sie und fragte: „Muss ich dich jetzt wach küssen? Dann würdest du vielleicht eine Prinzessin.“ Noch im selben Atemzug gab sie sich die Antwort selbst. Nein, dazu würde ich nicht taugen. So ist es.
 
Ich freue mich, Altstetten zu entdecken, will seine Geschichte erfahren. Das Ortsmuseum wird mir bald einmal Fragen beantworten. Es ist aber nur am 1. Sonntag im Monat geöffnet. Auf dem Personenmeldeamt waren die Broschüren dazu leider vergriffen. „Fragen Sie im Herbst wieder danach“, wurde ich vertröstet.
 
Zum Abschied vom Bernoulli schenkte mir die Nachbarin Erika das Buch „Chronik der Heilig-Kreuz-Kirche Zürich-Altstetten“, Verfasser: Alfred Boll. Schon auf den ersten Seiten stiess ich da auf die Abbildung der berühmten Goldschale, einer Opferschale aus einem zerstörten Grab, aus der Hallstatt- oder älteren Eisenzeit. Diese wurde 1906 an der Hohlstrasse bei den SBB-Werkstätten gefunden. Sie kann im Schweizerischen Landesmuseum beim Hauptbahnhof in Zürich bewundert werden. Ihre vollendete Schönheit brachte ihr viel Publizität. Sie prangte auch einmal auf einer schweizerischen Briefmarke.
 
Weiter habe ich erfahren, dass die einstige Römerstrasse in der Gegend meiner neuen Adresse, der Eugen-Huber-Strasse, vermutet wird, denn diese hiess bis 1933 Römerstrasse. Wegen des Sumpfs im Talgrund, von dem auch der Froschbrunnentext berichtet, musste sie über die Anhöhe führen.
 
Aus Erikas Buch habe ich auch erfahren, dass Altstetten ein Marienwallfahrtsort gewesen sei. Man pilgerte im Mittelalter von Zürich aus zu „Unserer Lieben Frau zu Altstetten“. Es sei das am weitesten erntfernte Ziel einer Prozession gewesen, die von Zürich ausgegangen sei. Ein Tavernenbrief von 1423 wird erwähnt. Der Vogt von Altstetten habe das Recht, eine Taverne betreiben zu lassen damit begründet, „es sei notwendig, weil sich viele Leute zum Besuch Unserer Lieben Frau in Altstetten aufhalten müssen, vor allem die Kranken.“ Pilger sollen nicht nur aus den nahen Gebieten, sondern auch aus dem süddeutschen Raum und aus Voralberg angereist sein. Ich spüre: Hier ist der Ort von alters her belebt.
 
Auch andere Gäste landen hier. Grosse Vögel. Dieser Tage haben wir von unserem Balkon aus sogar einen Buntspecht auf Augenhöhe beobachten können. Er pickte Delikatessen aus der Rinde eines Nachbarbaums, der neben einer Kinderschaukel steht. Noch nie gesehen, nur gehört. Und Raben und Elstern landen wie Flugzeuge auf dem Wiesenboden vor meinem Küchenfenster. Im Umfeld der Bernoulli-Siedlung sahen wir diese grossen Vögel meist nur auf den hohen Bäumen und auf Flachdächern grosser Geschäftshäuser. Hier hat eine Rabenfamilie ihr etwas grobschlächtiges Nest auf einer Hagenbuche neben unserem Hauseingang installiert. Und dann weist die Hätzlergasse noch auf die Eichelhäher hin. Hätzler sind Eichelhäher. Ihnen bin ich aber noch nicht begegnet. Kleine Vögel sind hier selten. Aber die Amsel singt uns auch hier ihre Lieder. Und Schwalben haben wir auch gesehen.
 
Viele Strassennamen deuten auf die hier einst bäuerliche Landschaft und auch auf die sichtbaren Alpen hin. Beispiele: Saumackerstrasse, Bachmattstrasse, Feldblumenstrasse, Zwischenbächen, Stampfenbrunnen und andere mehr. Pässe und Orte in den Alpen sind ebenfalls vertreten: Grimselstrasse, Calandastrasse, Bristenstrasse, Furkastrasse, Rautihalde usw. Den nahen Waldrand markiert das Dunkelhölzli.
 
Am Abend spazieren wir gern über die Grenze nach Schlieren. In wenigen Minuten sind wir bei den Bauernhöfen im offenen Land, wo wir Rohmilch und verschiedene landwirtschaftliche Produkte bekommen können. Die Stadt ist nur noch von fern zu sehen. Die Weite des Himmels mit ihrem Wolkengeschiebe, den Farben und Lichtspielen, aber auch mit den Kondensstreifen-Kalligraphien der Flugzeuge vermittelt jedesmal das Gefühl, wir seien in den Ferien. Die Luft ist reiner, die Aussicht prächtig. Wir sehen die Alpen, können Säntis, Vrenelis Gärtli, Rauti und andere Grössen grüssen.
 
Wir haben einen neuen Standort, neue Blickpunkte und Sichten, die uns beflügeln und bereichern. Meine Freundin Lisbeth sagte kürzlich, als sie unsere Wohnung und unser neues Umfeld gesehen hatte: Du musst dich im Paradies fühlen.
 
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