Textatelier
BLOG vom: 22.04.2009

Die Meeresbrise zerzaust das schottische Hochland …

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller. London
 
Vor einigen Tagen hielt ich ein arg havariertes Bändchen von Robert Louis Stevenson (1850–1894) in einem „Charity Shop“ kaufunschlüssig in der Hand, bis ich folgendes Gedicht (hier übersetzt) las, das mich sofort an das berühmte Gedicht „If“ (1909 erschienen) von seinem Zeitgenossen Rudyard Kipling erinnerte: 
Wenn ich mehr oder weniger wankelmütig
In meiner grossen Aufgabe des Glücklichseins;
Wenn ich mich unter meinesgleichen bewegte
Und kein glorioses Morgengesicht zeigte;
Wenn Strahlen von glücklichen Menschenblicken
Mich nicht bewegten; wenn Morgenhimmel,
Bücher und meine Nahrung, und Sommerregen
Umsonst an mein mürrisches Herz klopften:
Lord, ich deine zugespitzten Vergnügen ergreife
Und sie mein Geist hellwach ersticht;
Oder, Lord, wenn ich zu verstockt,
Dich erwähle, bevor mein Geist stirbt,
Ein stechender Schmerz, eine tödliche Sünde,
Und sie in mein totes Herz versenke! 
Dieser schottische Novellist Stevenson, Poet, Essayist und Verfasser von Reiseberichten wurde in Edinburgh geboren und wechselte immer wieder seinen Wohnsitz. Kränklich, wie er war, suchte er warme Orte auf, reiste zuerst viel in Südfrankreich, ehe er auf der pazifischen Samoa-Insel seine letzten Lebensjahre verbrachte und dort als 44-Jähriger starb. Von der presbyterianischen Umwelt in Schottland eingekesselt, befreite er sich vom Christentum und wurde zum Freidenker, was ich ihm ganz und gar nicht nachtrage.
 
Ich bin diesem Schriftsteller zuerst als Knirps begegnet, als ich lesehungrig seine Seeräuber-Geschichte „Die Schatzinsel“ las. Viele Jahre später stiess ich in England auf seine Kindergeschichte „A Child’s Garden of Verses“, anmutig illustriert, – und natürlich verschlang ich auch seine psychologische Novelle „Strange Case of Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Im Google entdeckte ich ausserdem, dass er „New Arabian Nights“ geschrieben hatte, ein Thema, das mich persönlich fesselt. Wie hat er es angepackt?
 
Zum Geleit seines Versebands (1910 von Chatto & Windus verfasst), verankerte er folgende witzige Zeilen: 
Von allen meinen Versen gefällt mir keine Zeile;
Aber der Titel gefällt mir, da er nicht von mir ist.
Diesen Titel stahl ich von einem besseren Mann:
Ach, wie viel besser, hätte ich das Ganze gestohlen! 
Der 2. Teil des Bändchens ist auf Schottisch geschrieben. Im Vorwort bedauert er, dass nur wenige seiner Landsleute seine im schottischen Dialekt geschriebenen Verse verstehen können. Obwohl wir in der Schweiz in unseren Mundarten sprechen, ist der geschriebene Dialekt an den Rand verdrängt. Soll ich mich hier über das Eindringen des amerikanischen Slangs in unserer Sprache auslassen? Lieber nicht! Stattdessen zitiere ich eine schottische Kostprobe aus dem Gedicht „Ille Terrarum: Frae nirly, nippin, Eas’land‘ breeze,/Frae Norlan‘ snaw, an‘ haar o‘ seas,/Weel happit in your gairden trees ...“ Die Meeresbrise zersaust das schottische Hochland, versuche ich die Stimmung zu erraten.
 
Kein Wunder, dass Robert Louis Stevenson südwärts in wärmere Gefilde floh, wenn man nachliest, wie er „Das schöne Haus“ beschrieb: 
Ein nacktes Haus, ein nacktes Moor,
Ein frostiger Tümpel vor der Türe,
Ein Garten ohne Blumen und Früchten
Und eine Pappel am Fuss des Gartens:
So ist der Ort, worin ich lebe,
Kahl draussen und öde drinnen. 
Im Gedicht „Jugend und Liebe“ trieb ihn das Fernweh weg von der Liebe: 
Nur einmal beim Gatter des Gartens
Trafen sich unsere Lippen und schieden.
Ich muss mein leeres Geschick erfüllen,
Und ins Unbekannte verreisen.
 
„Hail and farewell!“ Ich muss losziehen,
Die fetten Rinder hinter mir lassen,
Und malen unterm Himmel in der Fremde
Zur Odyssee meines Kampfs. 
„Heimat nicht mehr Heimat für mich“ ist der Titel eines Gedichts, und deckt auf, wie auch Robert Louis Stevensons Heimweh – ohne Heimweg – ihn bewegt, was ich als Auslandsschweizer nachempfinde: 
Im Hochland, in den Orten des Landes,
Wo alte Männer rosige Gesichter haben,
Und die jungen blonden Mädchen
Ruhige Augen;
Wo die Stille herrscht im Jubel und Segen
Und immerfort in den Hügel-Einschnitten
Ihre liebliche Musik schürt und verklingt. 
Hier habe ich die Grenze meiner Übersetzungskunst erreicht, weswegen ich den Urtext seines Gedichts zitiere:
 
In the highlands, in the country places, / Where the old plain men have rosy faces, / And the young fair maidens / Quiet eyes; / Where essential silence cheers and blesses, And for ever in the hill-recesses / Her more lovely music broods and dies.
 
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