Textatelier
BLOG vom: 14.08.2010

Von Toten und Untoten. Das Gräberchaos in Arlington USA

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Die Bürokratie ist ein gigantischer Mechanismus, der von Zwergen bedient wird.“
(Honoré de Balzac)
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Wer einmal unter die Fänge der Bürokratie geraten ist, hat es verdammt schwer, wieder herauszukommen. Im Zeitalter des Computers gibt es immer mehr Menschen, die an der Bürokratie verzweifeln. „Irren ist menschlich“ ist ein alter Ausspruch, der immer wieder ins Gespräch gebracht wird. Es sind also nicht immer die Computer schuld an den Irrungen, sondern vielmehr diejenigen, die diese Geräte bedienen.
 
Vor Jahren wurde bei einem US-Amerikaner die Identitätsnummer bzw. Sozialversicherungsnummer versehentlich gelöscht. Da er von nun an nicht mehr existierte, bekam er auch keine Rentenzahlungen. Er brauchte eine ganze Weile, um den Irrtum aufzuklären. Ganz makaber sind Irrtümer, wenn bestimmte Personen für tot erklärt werden, obwohl sie noch putzmunter herumlaufen. Hier einige Beispiele:
 
Peinliche Pannen
Der Südamerikaner Claude Pretorius wollte 2006 einen neuen Personalausweis beantragen. Als er im Einwohner-Meldeamt vorsprach, wurde ihm mitgeteilt, er bekomme keinen Pass, weil er schon tot sei. Dies gehe aus den Akten hervor. Auf seine Frage, ob er wieder zum Leben erweckt werde, bekam er die Antwort, er solle sich doch bei der nächsten Polizeistelle melden. Er gab dort eine eidesstattliche Erklärung ab, aus der hervorging, dass er wirklich Claude Pretorius ist. Er bekam einen neuen Personalausweis mit einer neuen Identitätsnummer. Er informierte seine Bank, sämtliche Versicherungen und die Steuerbehörde und teilte diesen die neue Nummer mit. Er war voller Freude, kaufte sich ein Auto und wollte es zulassen. Die Beamten auf der Behörde sagten ihm, man könne einem Toten doch keine Zulassung für ein Fahrzeug erteilen. Im Verkehrsregister war der Mann als Toter aufgeführt. Es nützte wenig, dass die Beamten Einblick in den neuen Personalausweis bekamen. Zum Glück waren die Beamten etwas einsichtig und stellten ein Behelfsdokument aus, aber die Schwierigkeiten hörten nicht auf. Ein Verkehrspolizist verpasste dem Mann bald darauf einen Strafzettel, weil sein Wagen nicht ordnungsgemäss zugelassen war.
 
Nun sucht Herr Pretorius verzweifelt den Mann, der wirklich tot ist und mit ihm verwechselt wurde. Frau Pretorius konnte er nicht als Zeugin benennen, da sie seit kurzem als verwitwet registriert ist. Das geht aus der neuesten Akte hervor. Eine verzwickte Sache. Vielleicht muss er eine Unterschriftensammlung bei Arbeitskollegen oder Bekannten starten, um wieder als Lebender zu gelten.
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In Deutschland wurde Eva Maria H. (85) versehentlich von der Stadtverwaltung Lübeck für tot erklärt. Die 85-Jährige ist jedoch quicklebendig. Sie bemerkte den Irrtum bei der Postbank, als sie Geld für ihre Enkel abheben wollte. Ihr Konto war jedoch gesperrt. Sie sei ja tot, wurde ihr erklärt, und man müsse ihre Karte einziehen. Die alte Dame beschwerte sich in der Verwaltung. Es kam bald heraus, dass am 13.03.2010, also ihrem angeblichen Todestag, wirklich eine Frau im gleichen Alter gestorben war. Eine Mitarbeiterin des Meldeamts sei offenbar in einer Zeile verrutscht, so die offizielle Erklärung. Die Stadt entschuldigte sich dann offiziell bei der Rentnerin.
 
Toter Dackel sollte Gebühren zahlen
Eine Frau aus München erhielt kürzlich Post von der GEZ (Gebühreneinzugszentrale) mit der Aufforderung, ihr Rauhaardackel „Bini" solle doch bei eigenem Einkommen gefälligst die Rundfunkgebühren bezahlen. Der Dackel war jedoch schon vor 5 Jahre verstorben. Wie ein Sprecher der GEZ sagte, passiere dies schon einmal. Schuld sind wohl die Frauchen, die bei Preisausschreiben den Vor- und Zunamen ihrer Tiere angeben. Oder sie lassen die Namen im Internet registrieren.
 
Nun werden die Hintergründe genau recherchiert, wie unter www.stern.de am 08.2010 zu lesen war. Der Sprecher meinte, der Hundename sei nicht als Tiername erkannt worden. Der Name wird nämlich auch als Abkürzung für Sabine gebraucht. Eine gute Ausrede.
 
Mit 66 Jahren kam der Schock
„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an! Mit 66 Jahren, da hat man Spass (…)“, verkündete Udo Jürgens 1977 in einem bekannten Song. Das dachte auch der 66-jährige Rentner Winfried A. von Hagen. Er war der Meinung, er könne nun seinen Ruhestand geniessen, viele Dinge nachholen, die er versäumt hatte oder auch Hobbys frönen. Falsch gedacht, denn bei ihm schlug die Bürokratie unbarmherzig zu. Durch einen Fehler beim Einwohnermeldeamt wurde er versehentlich für tot erklärt.
 
Zunächst wurde das Bankkonto gesperrt und die bereits überwiesene Rente zurückgebucht. Dann begann für den Rentner eine Odyssee. Sein Kampf um die Wiedererlangung seines Lebens war zeitaufwendig und nervenaufreibend.
 
Im Rathaus wurde der Fehler zum Glück gefunden. „Eine Kollegin hat im Computer das Häkchen an der falschen Stelle gesetzt“, sagte eine Pressesprecherin der Stadt Hagen. Sobald jedoch ein Häkchen gesetzt ist, bedeutet dies, die betreffende Person ist tot, und es wird sofort die Rentenkasse benachrichtigt. Es geht ja nicht an, dass ein Toter Rente bezieht und das Geld verprasst. Da sieht man wieder einmal, was ein Häkchen alles anrichten kann. Ich finde, man sollte hier sorgfältiger recherchieren und ein Leben nicht mit einem Häkchen formell auslöschen.
 
In der österreichischen Zeitung „Chronik“ vom 14.07.2010 wurde ein ähnlicher Fall publik gemacht. Dort wurde eine 58-jährige Linzerin vom Kundencenter eines Energieversorgers für tot erklärt. In Wirklichkeit war eine Nachbarin der 58-Jährigen verstorben. Als sämtliche Reklamationen nichts nützten, sprach sie beim Kundencenter vor. Dort wurden ihre Daten aufgenommen. Aber auch dies half zunächst nichts. Erst nach einiger Zeit wurde sie wieder für lebendig erklärt.
 
Den folgenden Kommentar von „Maruts“ (www.maruts.com) finde ich sehr ulkig, obwohl die Sache sehr makaber ist: „Na, wo kämen wir dann denn auch hin, wenn sich jetzt auch schon Tote melden und meinen sie seien noch gar nicht gestorben.“
 
Eine Fremde lag im Familiengrab
Stellen Sie sich einmal vor, Sie besuchen regelmässig das Grab eines Familienangehörigen und stellen dann fest, dass auf dem langjährigen Familiengrab ein frischer Grabhügel ist. Sie glauben nicht, dass so etwas passiert? Es ist passiert. Der 71-Jährige Horst J. aus Witten D entdeckte auf dem Grab seines Onkels einen Grabhügel mit frischen Rosen, Lilien, Tannengrün und Schleifen. Der Onkel ruhte schon 40 Jahre, und die später gestorbene Tante war ebenfalls in diesem Doppelgrab beigesetzt. Horst J. liess die Grabstätte um 25 Jahre bis 2011 verlängern und bezahlte auch die fälligen Gebühren. Nach Auskunft der Friedhofverwaltung hat der Rentner 2003 die Nutzungsrechte und Pflege der Grabstätte an die Stadt übertragen. Das darf die Verwaltung nicht ausnutzen und das Grab vorher nicht neu belegen, erklärte ein ehemaliger Prokurist der Stadt. Laut Friedhofsatzung darf die Ruhe der Toten nicht gestört werden.
 
Nun liegt ein neu Verstorbener über seinem Onkel. Die Friedhofverwaltung erklärte die Ruhezeit des Onkels für abgelaufen. Das Grab der 1986 verstorbenen Tante bleibt jedoch unbehelligt. Aber wer weiss, vielleicht liegt auch bald ein anderer Toter über der Tante. Bürokratisch gesehen wäre das möglich.
 
Gräberchaos nicht nur in den USA
Wie unter www.spiegel.de am 30.07.2010 zu lesen war, haben Tausende Hinterbliebene auf dem US-Militärfriedhof Arlington vor falschen Gräbern getrauert. Unglaubliches war geschehen: Laut einem Bericht des Senats könnten 4900 bis 6600 Ruhestätten falsch gekennzeichnet worden sein. Auf dem Friedhof wurden etwa 330 000 Kriegsveteranen und ihre Familien beerdigt. Hier liegen etliche berühmte Persönlichkeiten wie John F. Kennedy und Richter vom Obersten Gerichtshof.
 
Der Fehler liegt eindeutig bei der Friedhofverwaltung. Dort ging vieles drunter und drüber. Nun wurden der Friedhofleiter und der Stellvertreter entlassen. Es kann doch nicht geduldet werden, dass in einem patriotischen Staat seiner Bewohner-Elita so etwas passiert. Aber der Friedhofleiter hatte eine Ausrede: Schuld seien seine Mitarbeiter, die mit einer überalterten Technik (inkl. komplizierter Papierweg) arbeiteten, wodurch Fehler begünstigt wurden. US-Pfuschereien, wie üblich.
 
Es war Gina Gray, eine Veteranin aus dem Irak-Krieg, die den Skandal aufgedeckt hat. Sie prangerte die Geldverschwendung der Verwaltung von Arlington an. Heute gebe es immer noch kein automatisches System, um Bestattungen zu organisieren.
 
Robert Gibbs, Sprecher des Weissen Hauses, war ausser sich und bezeichnete den Vorfall als schockierend. Der Arlington-Friedhof sei schliesslich ein „heiliger Boden und Ruhestätte für diejenigen, die diesem Land tapfer gedient haben, sie verdienen eine bessere Behandlung“, meinte der vaterländische Gibbs.
 
Im Gegensatz zu den bürokratisch Verstorbenen können diese tapferen Soldaten nicht mehr zum Leben erweckt werden. Sie fielen in sinnlosen und dilettantisch geführten Kriegen, die von unfähigen Politikern ausgelöst wurden. Die skrupellosen und hochbezahlten Verantwortlichen ihrerseits aber haben noch ein langes Leben vor sich.
 
Internet
www.derwesten.de („Eine Fremde im Familiengrab“, „Peinliche Panne: Stadt erklärt Rentner versehendlich für tot“)
www.maruts.com („Gestorben ist gestorben …“)
www.spiegel.de („Gräberchaos im Nationalheiligtum“)
www.1n-online.de („Rentnerin für tot erklärt: Sie erfuhr es in der Bank“)
www.badische-zeitung.de („Tot und doch lebendig“ von Johannes Dieterich)
 
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