Textatelier
BLOG vom: 27.09.2011

Rügen (2): Schloss Granitz, Rasender Roland, Wildschweine

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Im 1. Teil der Rügen-Serie berichtete ich über das Ostseebad Binz mit den wunderschönen Villen, Hotels und Pensionen, auch über Kreidefelsen, Feuersteine und Hühnergötter. Nun möchte ich Ihnen weitere Höhepunkte unserer Urlaubsreise vorstellen.
 
Mit dem Jäger zum Jagdschloss Granitz
12 Personen fanden sich am „Haus des Gastes“ ein und begrüssten unseren Wanderführer Gerhard Munder (73). Er war früher Jäger (heute „Ehrenamtlicher Jäger“), und so war es nicht verwunderlich, dass er in Jägerkleidung – grünes Jackett, grüne Krawatte, grüne Hose und passender Hut mit „Gamsbart“ –  auftauchte. Da es auf Rügen keine Gämsen gibt, fragte ich ihn, aus welchem Material die Hutverzierung sei. „Diese besteht aus den Nackenhaaren von Wildschweinen“, war seine Antwort.
 
Der passionierte Jäger erzählte während der 4 km langen Tour von Binz zum Jagdschloss Granitz allerlei Witze. Dabei kamen wir aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus. So berichtete er uns, dass es im Naturpark Granitz viele Pilze gibt, so den Steinpilz, Butterpilz und Schwiegermutterpilz. Als er unsere verwunderten Gesichtsausdrücke sah, klärte er auf: „Sie können alle essen, bis auf einen.“ Der eine war wohl der giftige Schwiegermutterpilz.
 
Oder eine andere Bemerkung: „Woran erkennt man an einem Baum die Rückseite?“ Etliche meinten, am Moosbewuchs. Weit gefehlt. „Die Rückseite ist dort, wo viel Papier liegt.“ Gemeint ist, dass manch ein Wanderer ein bestimmtes Bedürfnis verspürt und dann hinter den Bäumen sein Geschäft verrichtet.
 
Herr Munder führte uns auch zu einer Wildschweinsuhle. Dort suhlen sich die Schweinchen, die erst am Abend aus ihren Verstecken kommen. So manches Schwein läuft auf seiner Nahrungssuche in einer Nacht ca. 15 km herum. Dann erzählte er uns von den vielen Wildunfällen. Er hat sich einen Ultraschall-Wildwarner installiert. Das Produkt ist schon für wenige Euro zu bekommen (mittels Suchmaschine unter dem Stichwort „Wildwarner“ sind Infos nachzulesen) und kann mittels Klebestreifen auf die Stossstange der Autos oder an einer anderen Stelle im Frontbereich geklebt werden. Durch den Fahrtwind wird bei einer Geschwindigkeit des Autos von 50 km/h ein Hochfrequenz-Ton erzeugt, den die Wildschweine nicht mögen. Herr Munder brachte seine Verwunderung zum Ausdruck, dass diese vom TÜV genehmigten Wildwarner noch nicht überall bekannt sind und auch nicht von Automobilklubs oder Autoversicherungen empfohlen werden.
 
Auf der Insel gibt es auch Rehe und Hirsche. „Der grösste Hirsch war ein 34-Ender. Er wurde nicht von einem Jäger, sondern von einem Auto in der Nähe von Binz erlegt“, bemerkte der Jägersmann. Der schlaue Hirsch blieb für alle Jäger unsichtbar. Darüber wundern sich die Leute mit dem Jagdgewehr bis zum heutigen Tag.
 
Als wir das Jagdschloss Granitz auf dem 107 m hohen Tempelberg erblickten, waren wir von der burgartigen und dem freundlich wirkenden Gebäude überrascht. Das im neogotischen Stil erbaute Jagdschloss hat 4 Ecktürme und einen von Karl Friedrich Schinkel (1781−1841) entworfenen, zentralen, 38 m hohen Aussichtsturm. Der Bauherr des Schlosses war Fürst Wilhelm Malte I. (1783−1854) aus dem Hause Putbus. Das Jagdschloss gilt als eine Art „Neuschwanstein Rügens“.
 
Wer hier auf die Aussichtsplattform möchte, muss eine reizvolle, filigran gearbeitete Wendeltreppe mit 154 gusseisernen Stufen empor klettern. Es dürfen immer nur 30 Personen die Wendeltreppe gleichzeitig betreten. Unten und oben sind Aufseher, die per Funk die Freigabe zum Auf- und Abstieg erteilen.
 
„Die Treppe gilt als konstruktive und ästhetische Meisterleistung des Eisenkunstgusses“, konnte ich in einer Schrift lesen. Die Treppe wurde in Berlin gefertigt und 1845 eingebaut.
 
Die meisten von uns überwanden die Treppen im langsamen Tempo ohne Mühe. Es lohnte sich, zumal die Aussicht auf der Plattform über die Insel überwältigend war.
 
Während der Schlossführung sahen wir noch den Rittersaal, den Empfangs- und den Damensalon sowie das Speisezimmer. Hier sind die originalen Marmor- bzw. Parkettböden erhalten. Leider ging die ursprüngliche Möblierung verloren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier Flüchtlinge einquartiert. Da diese kaum Holz zum Heizen zur Verfügung hatten, wurde das Mobiliar verfeuert. Wertvolle Einrichtungsgegenstände (Waffen, Möbel, Gemälde, Geweihe, Porzellan) verschwanden und konnten nicht mehr aufgefunden werden. Hier haben sich wohl die Siegermächte bereichert. Zum Glück waren Fotografien vorhanden, so dass man teilweise Einrichtungsgegenstände nachbilden konnte.
 
Im Wirtshaus „Alte Brennerei“ im Jagdschloss stärkten sich die Wanderfreunde mit einer von unserem Führer empfohlenen Kartoffelsuppe. Dann ging es auf demselben Weg wieder zurück nach Binz.
 
Was uns noch auffiel, war das Folgende: In Binz und anderen Orten der Insel sah ich keinen Zebrastreifen für die Fussgänger. Als ich eine Oma, die mit ihrem Enkel im Kinderwagen unterwegs war, fragte, warum das so sei, konnte sie mir die Frage nicht beantworten. Eingaben an die Gemeindeverwaltung waren bisher erfolglos. Die Oma und auch wir mussten lange warten, um eine Lücke an einer viel befahrenen Strasse abzuwarten und dann die Strasse im schnellen Tempo zu überqueren.
 
Der rasende Roland
An einem schönen Spätsommertag wanderten wir zum Kleinbahnhofs Binz-Ost, um den „Rasenden Roland“ in Augenschein zu nehmen. Es handelt sich um eine historische Schmalspurbahn mit einer Spurweite von 750 mm. Der „Rasende Roland“ dampft hier schon seit mehr als 110 Jahren mit 30 km/h Höchstgeschwindigkeit über den südlichen Teil von Rügen, nämlich von Putbus nach Binz, Sellin, Baabe und Göhren. Für die Gesamtstrecke von 24 km benötigen die dampflokbespannten Züge etwa 1 Stunde.
 
Wir wollten an diesem Tag nicht mit diesem Zug herumfahren, sondern lieber das „Museum Ostseebad“ in einem Nebengebäude des Bahnhofes besuchen. Da wir noch etwas Zeit bis zur Öffnung des Museums hatten, setzten wir uns auf die Terrasse des „Restaurants Rasender Roland“ und verköstigten uns. Die kulinarischen Genüsse hatten immer Namen, die Bezug auf die Eisenbahn nehmen. So wurden Speisen u. a. als „Schwarzfahrer“, „Zugführer“, „Schaffner“, „Schmalspur“, „Weiche“ und „Notbremse“ (Sanddorncreme mit Sahnetupfer) angeboten. Die Kellnerinnen in Uniformen der früheren Bahnbediensteten brachten uns die Speisen.
 
Nach der Stärkung betrachtete ich den Gastraum im Restaurant näher. Dieser sah wie ein Zugabteil aus. Es gab Holzbänke, Holztische, Reklametafeln, Koffer in den Gepäckablagen und an Haken hängende Regenschirme. Bald darauf raste dampfend der „Rasende Roland“ heran. Zum Glück wurden wir nicht eingerusst.
 
Da fällt mir noch ein, dass es auch in Binz kuriose Bezeichnungen für Speisen gibt. So wurde im Stubenrestaurant und Café „Omas Küche“ ein „Windiger Mönch“ angekündigt. Es handelte sich hier um Schnitzel auf hausgebackenem Brot mit Zwiebel- und Gurken- oder Tomatensalat. Auf einem anderen Schild waren „Opas heisse Pflaumen“ abgebildet, keine köstliche Pflaumenspeise, sondern der Begleittext zu den 3 lächelnden Mädels in der Tracht mit einem Glas Wein in der Hand. Slogan des Lokals: „Wer einen guten Braten macht, hat auch ein gutes Herz" (www.omas-kueche-binz.de).
 
Keine Erotik in Bädern?
Anschliessend besuchten wir das „Museum Ostseebad“. Hier konnten wir das Badewesen im 19. Jahrhundert, die Geschichte von Binz und die Entwicklung des Strandkorbes studieren. Wir sahen ein Fremdenzimmer, einen Salon aus der Gründerzeit und eine Bauernküche um 1914/20. Ganz amüsant fanden wir die kecken, kühnen Badekostüme von anno dazumal. Joachim Ringelnatz äusserte sich damals enttäuscht: „Wenn ich in Badeanzug und im Familienbad bin, geht die Erotik fort. Wohin weiss Gott. Wie schade.“
 
Es gab damals Familienbäder, Damenbäder und Herrenbäder. Hier eine Schilderung aus der damaligen Zeit:
 
„Das Baden ist nur in geschlossenen, aus undurchsichtigem Stoff hergestellten Badeanzügen gestattet. Das Baden im Familienbad kann seitens der Badedirektion ohne Angabe von Gründen solchen Personen verboten werden, die gegen Anstand und gute Sitten verstossen. Einzelnen jungen Damen und Herren ist das Baden im Familienbade nicht gestattet. Das Mitbringen von Ferngläsern und photographischen Apparaten ist untersagt.“
 
Es existiert eine Fotografie, auf der hauptsächlich Männer durch einen Schlitz im hohen Bretterzaun hindurchsahen. Unter den „Spannern“ waren aber auch einige Frauen. Alle wollten sehen, was sich so im Badeareal abspielt.
 
Kleines Fazit
Die Insel zog uns alle in den Bann. Das sonnenreiche Eiland fasziniert mit seiner Vielseitigkeit wohl jeden Besucher. Meine anfängliche Skepsis wurde in wunderbarer Weise beim Anblick der Bäderarchitektur, der Steilküsten und Naturparks vertrieben. Es gibt noch viel zu entdecken, so dass wir beschlossen haben, irgendwann auf dieses Eiland zurückzukehren.
 
Nachtrag 1: Japanischer Professor im Zug
Kaum zu glauben, was man für interessante Menschen bei einer Zugreise treffen kann. Es sind Zufallsbekanntschaften, die für mich immer von besonderem Wert sind.
 
Begleiter auf der Stecke Frankfurt nach Baden-Baden war diesmal ein Japaner. Er gab sich als Professor der Universität Tokio (Jurist) zu erkennen. Er sprach hervorragend Deutsch und erzählte mir, er komme von einem Besuch und wolle nun den Schwarzwald kennenlernen. In Baden-Baden würde er sich ein Hotel suchen und dann am nächsten Tag zum Titisee fahren. Ich beschrieb ihm den Weg mit dem Zug über Freiburg. Weitere Tipps folgten. Ich erfuhr auch Etliches über Japan. Ich wollte erfahren, ob auch in Japan Deutsch als Unterrichtsfach angeboten wird. Er sagte mir, japanische Schüler bzw. Studenten würden als Fremdsprachen Englisch (1. Fremdsprache), Russisch, Chinesisch, Koreanisch und Deutsch wählen.
 
Nach jedem Tipp von mir bedankte er sich. In Baden-Baden verabschiedete er sich mit einem Handschlag und einer Verbeugung. Die Japaner sind in der Tat ein unglaublich diszipliniertes und höfliches Volk.
 
Nachtrag 2: Verspätungen mit der Deutschen Bahn.
Kürzlich wurde mir berichtet, dass sich ein Schweizer sehr lobend über die Deutsche Bahn geäussert habe. Die Züge seien pünktlich, die Waggons sehr sauber und der Service ordentlich. Ich würde jedoch dem betreffenden Schweizer empfehlen, einmal nach Berlin zu fahren, da wird er sein blaues Wunder erleben und seine Meinung wahrscheinlich ändern.
 
Auf der Rückfahrt von Binz nach Berlin hatte der Zug einige Minuten Verspätung, so dass wir den ICE nach Basel nicht mehr erreichen konnten. Zunächst wurde uns über die Sprechanlage verkündet, der Zug fahre nicht von Gleis 14 ab, sondern von Gleis 17 (der Sprecher nuschelte, so dass wir die Nummer vielleicht falsch verstanden hatten). Auf jeden Fall meinte er Gleis 7.
 
Wir fuhren vom Tiefbahnhof mit Rolltreppen zum Hochbahnhof. Als wir in Höhe der Gleise 14 und 16 ankamen (das Gleis 17 gibt es gar nicht!), fragte ich einen Bahnbeamten: „Auf welchem Gleis fährt der Zug nach Basel – Interlaken ab?“ Dieser antwortete: „Auf Gleis 7.“ Also wieder hinunter mit diversen Rolltreppen. Aber oh weh, der Zug war längst weg. An diesem Tag fielen noch sämtliche Uhren und die Schilder auf den Bahnsteigen mit den Abfahrtszeiten und Zielorten wegen einer technischen Panne aus. Deshalb warteten wir auf einen anderen Zug, der uns zunächst nach Frankfurt bringen sollte. Also rein in den Zug, dann wieder aussteigen und auf den Anschluss-ICE in Frankfurt warten.
 
Just an diesem Tag hatte der Anschlusszug wegen einer technischen Panne 20 Minuten Verspätung. Da es ein Sonntag war, fuhren die Züge von Basel nach Schopfheim nur im 1-Stunden-Takt. Unsere Tochter Daniela holte uns am Badischen Bahnhof ab und brachte uns dann sicher nach Hause. Sie können sich vorstellen, dass wir an diesem Tag keine gute Meinung über die Deutsche Bahn hatten.
 
Internet
 
Literatur
Boy, Klaus: „Der Weg zum Seebad Binz“, hadiko creativ media, Binz (keine Jahresangabe).
Kramer, Heike: „Jagdschloss Granitz“, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2010.
Lopez-Guerrero, Gabriel; Tzschaschel, Sabine: „ADAC Reiseführer Rügen“, München 2010.
Reinicke, Rolf: „Feuersteine, Hühnergötter“, Demmler Verlag, Ribnitz-Damgarten 2010.
 
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