Textatelier
BLOG vom: 16.01.2012

Zur Bahnfahrt gehörten Entspannung, Schreck und Glück

Autorin: Rita Lorenzetti-Hess, Zürich-Altstetten
 
Für ein gemeinsames Vorhaben hatte ich mich mit einer Verwandten verabredet. Wir wollen uns mehrmals treffen. Dafür musste ich mit der Bahn und dem Postauto zu ihr reisen. Ich kaufte mir am Bahnschalter eine Mehrfahrtenkarte.
 
Für die Anfahrt zum Bahnhof Altstetten (Zürich) benützte ich mein Velo. Ich fand sofort einen Parkplatz und stellte dann fest, dass ich sehr früh angekommen war. Es blieb mir eine ganze Viertelstunde Wartezeit. Diese benützte ich für 2 kleine Kommissionen und ging danach auf den entsprechenden Perron. Noch immer war ich zu früh. Es war kaltes, windiges Wetter, darum schritt ich aus, stadteinwärts und –auswärts, so lange bis mein Zug hier eintraf. Auf einmal bemerkte ich einen Marienkäfer auf dem Asphalt, und da ich den Fotoapparat bei mir hatte, fotografierte ich ihn. Er war lebendig, bewegte sich vor mir her. Im Winter? Seltsam. Welche Art Wärme hatte ihm eingegeben, der Frühling sei da?
 
Dann wurde mein Zug (Richtung Basel) ausgerufen. Bald traf er ein. Ich legte Mantel und Halstuch ab, richtete mich gemütlich ein.
 
Das Reisen im Zug ist für mich immer noch spannend und entspannend. Ich schaute nur aus dem Fenster, fühlte mich wohl, dachte an nichts und niemanden. Bis nach 10 Minuten der nächste Halt ausgerufen wurde: Dietikon!
 
Ich erschrak. Vor lauter freier Zeit hatte ich vergessen, meine Mehrfahrtenkarte abzustempeln. Was mache ich jetzt? Am besten aussteigen. Versuchen, das Versäumte nachzuholen. Alles hing von etwas Glück ab. Aber wo befindet sich auf dem Perron in Dietikon ein Automat? Keine Ahnung. Und wenn schon, habe ich dafür überhaupt genügend Zeit? Und wie informiere ich Rose, wenn ich den Zug für die Weiterfahrt abfahren lassen muss? Ich besitze kein Handy. Noch bevor der Zug anhielt, hatte ich meine Siebensachen beisammen und den Mantel wieder angezogen. Draussen im Korridor neben der Treppe traf ich auf den Zugbegleiter, der sich gerade etwas notierte. Ich sprach ihn sofort an, informierte mein Versäumnis. Er schaute auf meine Mehrfahrtenkarte und dann auf mich und sagte, ja das könne ich machen, also aussteigen und abstempeln und er fügte bei: Das wäre Ihnen teuer zu stehen gekommen. Ich wusste es. Neuerdings beträgt die Busse CHF 90.‒ zusätzlich die Fahrkosten.
 
Ich öffnete die Tür. Imposantes Glockengeläute empfing mich. Kaltes Wetter lässt Glocken gern laut ertönen. Obwohl ich mich in diesem Augenblick nur für einen Billettautomaten interessierte, fragte ich mich doch, was hier los sei? An einem Werktag, nachmittags um halb 2? Glockengeläute für eine Beerdigung tönen doch dumpfer, schwerer. Hier schienen sie etwas Heiteres zu verkünden.
 
Und schon stand ich vor einem der kleinen, orangefarbenen Kästen, in denen Fahrkarten abgestempelt werden können. Aber leider, leider war dieser gerade ausser Betrieb. Ich eilte zurück, informierte den Zugbegleiter. Wir hasteten wieder hinaus, doch auch er konnte meine Karte nicht abstempeln. Er wies mich an meinen Sitzplatz zurück und entwertete mir dann im Lauf der Weiterfahrt meine Karte. Mit einem handschriftlichen Eintrag und dem Aufdruck seiner persönlichen Billettzange.
 
Jetzt, Tage später, frage ich mich, wer oder welche Macht hat mir in dieser brenzligen Situation geholfen? Ich habe einen Fehler gemacht, habe meine Nachlässigkeit zwar gemeldet, doch woran lag es, dass man mir glaubte? Die Zahl der Schwarzfahrer ist doch so immens, dass Fehler wie der meine gut diesem Kapitel zugeordnet werden könnten. Wäre der Zugbegleiter an einer Busse interessiert gewesen, hätte er sie unbarmherzig einfordern können.
 
Diese Begebenheit ist nur eine kleine Geschichte, aber sie trägt vieles in sich, das auch zu den grossen gehört. Da sind reale Gegebenheiten, Menschen, Gespräche und Entscheidungen, die nicht immer nachvollziehbar sind.
 
Für meine Geschichte gilt: Alles, was ich hier berichtete, ist wahr. Auch der Marienkäfer war eine reale Erscheinung und ist auf einer Foto verewigt.
 
Und die Glocken läuteten wirklich wie an einem Festtag oder für einen feierlichen Empfang. Für mich persönlich haben sie nicht geläutet, aber während sie es taten, bekam ich Hilfe.
 
Wieder einmal Glück gehabt!
 
Und so stellen wir doch Glück auf Glückwunschkarten gerne dar: Mit Marienkäfern und schwingenden Glocken.
 
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