Textatelier
BLOG vom: 20.01.2012

Das Schwermetall Thallium: ein Zellgewebs- und Nervengift

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Im Dezember 2011 entdeckte das Freiburger Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) bei einer Sonderuntersuchung im Trinkwasser von Kandern, Tannenkirch, Holzen, Gupf und im Riedlinger Bad D erhöhte Werte an Thallium. Das Wasser wies Konzentrationen von 13 Mikrogramm (mcg) pro Liter auf. Das Untersuchungsamt kontrollierte in den letzten 2 Jahren 400 Trinkwasserproben aus dem südlichen Baden Württemberg auf Thallium. Bis auf das erwähnte Wasser waren alle Proben frei von diesem Schwermetall.
 
Recherchen ergaben, dass das Wasser aus dem Tiefbrunnen Riedlinger Bad stammte. Das Thallium wurde wahrscheinlich aus tieferen Gesteinsschichten nach oben geschwemmt, wie Uwe Hoffmann, Leiter des Fachbereichs Gesundheit im Landratsamt Lörrach, vermutete.
 
Mir ist unverständlich, warum nicht alle Trinkwässer auf Thallium untersucht werden. Es existiert noch nicht einmal ein Grenzwert. Frau Dr. Blaurock-Busch bestimmt Thallium bei allen eingelieferten Wasserproben (Grenzwert: < 1 mcg/l).
 
Auch wurde lange Zeit das Uran im Trinkwasser nicht bestimmt. Die Trinkwasserverordnung, die vom 01.11.2011 gilt, weist für Uran jetzt erstmals einen Grenzwert auf.
 
Was wurde in Kandern unternommen? Es wurde zunächst Wasser in Flaschen verteilt, dann folgte ein Austausch des Wassers im Riedlinger Bad, zudem kam unbelastetes Trinkwasser aus anderen Bereichen in die öffentliche Wasserversorgung.
 
Giftigkeit wurde unterschätzt
Das Schwermetall Thallium ist ein Zellgewebs- und Nervengift. Es wurde 1861 von Sir William Crookes (1832−1919) entdeckt und von Claude Auguste Lamy (1820−1878) in reiner Form hergestellt. Da das Thallium eine grüne Spektrallinie zeigt, orientierte sich Crookes bei der Namensgebung am griechischen Wort „thallós“, was „grün“ bzw. „junger grüner Zweig“ bedeutet.
 
Verwendet wird Thallium zur Herstellung von Linsen, Filtern und Prismen für Infrarotgeräte, Legierungen, Leuchtfarben, Hochtemperatur-Supraleitern. Thallium ist auch in Mobilfunkgeräten vorhanden.
 
Die Giftigkeit der verschiedenen Thalliumverbindungen wurde anfangs unterschätzt. Deshalb wurden diese fleissig angewandt, wie zum Beispiel Thalliumverbindungen (Rodentizide) für die Schädlingsbekämpfung, Thalliumacetat als kosmetisches Enthaarungsmittel. Thalliumverbindungen waren aber auch als Medikamente bei Tuberkulose, Syphilis, Kopfhautmykosen und Nachtschweiss geschätzt. Thalliumsulfat diente als Rattengift, ausserdem wurden zahlreiche Morde und Selbstmorde mit diesem Gift verübt.
 
Betrachten wir einmal einige Vergiftungsfälle der vergangenen Zeit näher:
 
Wie Agatha Christie ein Kind rettete
Namhafte britische Zeitungen, so die „Times“ und eine Fachzeitschrift, berichteten im Herbst 1978 von einem 19 Monat alten Mädchen, das mit sonderbaren Krankheitszeichen in die Klinik der Royal Postgraduate Medicine School in London eingewiesen wurde. Das Kind stammte aus dem arabischen Golfstaat Katar, und man konnte die Vergiftungsquelle zunächst nicht ausfindig machen. Die Krankheitsanzeichen verschlimmerten sich zusehends, und die Ärzte wussten sich nicht mehr zu helfen. Zum Zeitpunkt der allgemeinen ärztlichen Ratlosigkeit las eine Krankenschwester den Agatha-Christie-Krimi „The Pale Horse“ („Das fahle Pferd“), in dem dieselben Vergiftungssymptome – weisse Querstreifen unter den Fingernägeln (Mees'sche Bänder *), Bewusstlosigkeit, Haarausfall – beschrieben waren. Diese Erscheinungen wurden durch Thallium hervorgerufen. Eine eiligst vorgenommene Urinuntersuchung bestätigte die Vergiftung mit Thallium. Möglicherweise – so ergaben Recherchen – kam das Kind mit einem Mittel in Kontakt, das die Eltern zur Küchenschabenbekämpfung eingesetzt hatten. Nach einer 3-wöchigen Therapie mit dem Antidot Preussischblau (Berliner Blau) besserte sich der Zustand der Kleinen, und nach 4 Wochen konnte sie gesund entlassen werden.
 
Die vielgeliebte und hochgelobte „Old Lady“ der englischen Detektivliteratur rettete also indirekt ein Menschenleben.
 
* Nach dem holländischen Arzt R. A. Mees benanntes Phänomen, das nach einer chronischen Vergiftung mit Arsen, Thallium, Antimon und Quecksilber auftritt. Solche Streifen zeigen sich aber auch bei schweren Stoffwechselstörungen (Pellagra) und nach kurzzeitiger intensiven Einwirkung von Zytostatika (nach Prof. Hansotto Zaun).
 
Vergiftung in Guayana
Im südamerikanischen Staat Guayana begann 1981 eine Gesellschaft damit, auf Zuckerrohrplantagen Ratten mit Thalliumsulfat zu bekämpfen. Arme Farmer streuten die Substanz wegen ihrer wachstumsfördernden Wirkung zudem auf ihre Felder. 2 Jahre später zeigten sich die ersten Vergiftungserscheinungen beim Menschen. Bis 1986 starben 44 Personen. Als Vergiftungsquellen entpuppten sich Milch (die Kühe frassen mit Thallium verseuchte Melasse) und Weizenmehl.
 
Mordversuch an Ehemann
Eine unzufriedene Ehefrau wollte ihren 42-jährigen Mann ins Jenseits befördern. Sie mischte über einen längeren Zeitraum eine Thalliumverbindung ins Essen. Beim Opfer zeigten sich bald darauf kolikartige Leibschmerzen, Verstopfung und Haarausfall. Zum Glück wurde bei einem stationären Spitalaufenthalt die Vergiftung mit Thallium erkannt.
 
Studenten wurden vergiftet
1983 wurde eine Thalliumvergiftung an Würzburger Medizinstudenten publik. Das Thallium(I)-sulfat wurde in Bier und Säften, welche die Studenten konsumierten, nachgewiesen. Die Folge dieser Vergiftung: 1 Student starb 8 Tage nach der Vergiftung. Bei allen Patienten wurde ein starker Haarausfall (Alopezie) gesehen (Höhepunkt des Ausfalles nach 3 Wochen). Nach 3 Monaten zeigten sich Meessche Nagelbänder. Im Urin der Vergifteten wurden zwischen 5 und 43 mg/l und im Plasma zwischen 0,1 und 6 mg/l Thallium nachgewiesen.
 
Verbreitung in der Umwelt
Thallium-Verbindungen gelangen wegen ihrer Flüchtigkeit bei Verhüttungsprozessen anderer Metalle, bei der Zementfabrikation und der Kohle- und Müllverbrennung in die Umwelt. Als 1979 in der Nähe von Zementfabriken (besonders bei Verwendung eisenoxidhaltiger Kiesabbrände) Thalliumemissionen festgestellt wurden, erhielten die Hobbygärtner in der Nähe den Rat, keinen Kohl und keine Kresse anzubauen.
 
In der Umgebung von Zementwerken oder metallverarbeitenden Betrieben wurden früher Konzentrationen im Raps und Grünkohl von etwa 1 mg pro kg ermittelt. Auf Grund von Umweltschutzmassnahmen wurden die Emissionen erheblich verringert.
 
Die heute gemessenen Thalliumwerte liegen im Süsswasser laut „Bundesgesundheitsblatt“ unter 0,01 mcg/l. In Rheinwasserproben wurden Thallium-Konzentrationen zwischen 0,004 und 0,006 mcg/l nachgewiesen. Ende 2004 wurde Thallium in manchen Mineralwässern in Konzentrationen bis zu 15 mcg/l ermittelt.
 
Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) gab auf Grund der Mineralwasseranalysen am 14.12.2004 dann das Folgende bekannt: „Die Gesamtaufnahme an Thallium aus allen Quellen sollte pro Tag 1  mcg nicht überschreiten. Um das zu gewährleisten, sollten Mineralwässer, die für den menschlichen Konsum bestimmt sind, nicht mehr als 5 mcg Thallium pro Liter enthalten. Dieser Einschätzung liegt ein geschätzter Konsum von 1 Liter Mineralwasser pro Tag zugrunde. Bei einer kurzfristigen Überschreitung dieses Gehalts ist zwar nicht mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Trotzdem sollten Personen, die in stärker belasteten Gegenden leben oder durch ihren Beruf mit Thallium in Kontakt kommen, nur Mineralwässer trinken, die weniger als 2 mcg pro Liter enthalten.“
 
Wie hoch ist die Thallium-Aufnahme beim Menschen? Da gibt es leider nur spärliche Angaben. In kontaminierten Regionen wird die Aufnahme auf etwa 2 bis 5 mcg/Tag geschätzt. Den grössten Thalliumgehalt besitzen Gemüse (Kohlsorten) und einige Pilzearten. Diese Nahrungsmittel akkumulieren Thallium. Die durchschnittliche Thalliumaufnahme in Deutschland wird auf 2 mcg pro Tag geschätzt.
 
Thallium wird über den Magen-Darm-Trakt und die Lunge aufgenommen. Es passiert auch die Blut-Hirn-Schranke und die Plazentaschranke und wird auch von der Muttermilch aufgenommen.
 
Thalliumverbindungen wirken überwiegend als Zellgifte und können Leber-, Nieren- und Nervenschäden verursachen. Auch die Haarfollikel erfahren eine Schädigung.
 
Eine Vergiftung führt zu Übelkeit, Brechreiz, Bauchkrämpfen, Durchfall, Haarausfall. Betrachten wir einmal die akute und chronische Vergiftung mit Thallium.
 
Akute Vergiftung
Bei der akuten Vergiftung treten Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen auf. Nach 2 bis 3 Tagen folgt eine Magen-Darmentzündung mit Brechkrämpfen und Durchfällen. Danach stellen sich Nervenschädigungen, psychische Veränderungen und sogar Lähmungen ein. Nach etwa einer Woche fällt das Haupthaar aus. Es ist durchaus möglich, dass auch andere Körperhaare ausfallen. Wird eine Thalliumvergiftung überstanden, wächst das Haar wieder nach.
 
Die Haare gehen deshalb verloren, weil sich Thallium in die Haarfollikel einlagert und zu einer Schädigung des wachsenden Haares führt. Weitere Anzeichen: Muskelschmerzen in Armen und Beinen, Schmerzen am Rumpf und im Gesicht, Schmerzhaftigkeit der Fusssohlen, Sehstörungen, Nervenentzündung, Schmerzen und Schwellungen der Gelenke.
 
Nach 3 bis 4 Wochen tritt eine weitere charakteristische Veränderung auf: Es bilden sich typische halbmondförmige weisse bis hellgraue Querstreifen an Finger- und Zehennägeln. Der Tod kann durch Atemlähmung eintreten. Wer sich von einer Thalliumvergiftung erholt, leidet noch lange Zeit unter Nervenstörung.
 
Als letale Dosis für den Erwachsenen gilt eine peroral aufgenommene Menge von 0,8 bis 1,0 g oder 10‒15 mg/kg Körpergewicht. Bei einer Dosis von 1,5  mg/kg Körpergewicht in Form löslicher Verbindungen kam es laut WHO schon zu akuten Vergiftungserscheinungen.
 
Chronische Vergiftung
Eine chronische Vergiftung zeigte sich bei Arbeitern, die schwefelhaltige Erze verhütteten, und Zement, Halbleiter und Spezialgläser herstellten. Bei diesen Arbeitern zeigten sich Appetitmangel, Gewichtsverlust, Sehstörungen, Schleimhautentzündung des Magens und Darms, Nierenentzündung, Nervenentzündung, Hypersensibilität an den Beinen, Nageldystrophien, Muskellähmungen, diffuser Haarausfall und Stoffwechselstörungen.
 
Was tun bei einer Thalliumvergiftung?
Wie Eleonore Blaurock-Busch in einer Publikation erwähnt, erfolgt die Analyse von Thallium in Blut, Urin, Stuhl, Haaren und Nägeln. Nach Art der Vergiftung wird so vorgegangen, um das Metall zu eliminieren: Magenspülungen, forcierte Diurese, intravenöse Gaben von Kaliumchlorid, Hämodialyse und orale Gaben von Berliner Blau zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs. Zur Erklärung des enterohepatischen Kreislaufs: Thallium wird über den Darm resorbiert und kommt dann über die Leber und Galle wieder in den Darm. Durch teilweise Rückresorption über die Darmschleimhaut kommt es erneut zu einer Vergiftung.
 
Schlussbemerkung
Ich finde, dass man das Trinkwasser immer auf Schwermetalle und andere Giftstoffe untersuchen sollte. Auch die Festlegung von Grenzwerten ist zwingend. Dabei muss man beachten, dass mehrere Giftstoffe durch Kumulation und Potenzierung grössere Schäden verursachen können als einzelne Stoffe. Am besten wäre natürlich die Aufnahme von giftfreien Wässern und Nahrungsmitteln. Aber das dürfte in Zeiten der Umweltverschmutzung illusorisch sein.
 
Literatur
Blaurock-Busch, Eleonore: „Mineralstoffe und Spurenelemente“, Labor, Diagnose und Bewertung, Eigenverlag, 3. Auflage Juli 2009.
Budesamt für Risikobewertung: „Thallium in natürlichen Mineralwasser“, Stellungnahme vom 14.12.2004.
Scholz, Heinz: „Mineralstoffe und Spurenelemente“, Georg Thieme Verlag, 1996 (vergriffen).
Umweltbundesamt: „Stoffmonographie Thallium – Referenz- und Human-Biomonitoring – (HBM)- Werte für Thallium im Urin“, Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, Nr. 4, 2011.
Zaun, Hansotto; Dill-Müller, Dorothee: „Krankhafte Veränderungen des Nagels“, 8. Auflage, Spitta Verlag GmbH, Balingen 2001.
 
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