Textatelier
BLOG vom: 27.01.2012

Das Naturphänomen Eichener See ist wieder aufgetaucht

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Kürzlich schlug ich unserem Wanderführer Toni von Lörrach vor, doch einmal eine Wanderung rund um den Eichener See (alemannisch Eiemer See) zu machen. Dieser See befindet sich unweit von Schopfheim-Eichen D im nordöstlichen Randgebiet des Dinkelbergs. Es handelt sich um einen See, der kommt und geht. Eigentümlicherweise bleibt er jahrelang verschwunden, dann taucht er wieder auf. Es ist also nicht möglich, den Zeitpunkt des Seeaustrittes vorauszusagen. In vergangenen Zeiten zeigte er sich in seiner ganzen Pracht bereits am 15. August 1980 oder am 31. Oktober 1981. Meistens taucht er jedoch im November/Dezember oder im Frühjahr auf. Auch die Dauer des Naturschauspiels ist ungewiss. Manchmal muss man sich sputen, um den See zu sehen, aber in der Regel lässt er sich jedoch viel Zeit zur Flucht in den Untergrund.
 
In der Schopfheim Chronik von Stadtpfarrer August Eberlin wird berichtet, dass 1801 und 1802 der See viermal aufgetaucht ist. „Im Jahr 1867 erschien er wieder und bedeckte Anfang Juni 6−8 Morgen Feld, um jedoch schon Ende Juli zu verschwinden. Damals wurden Rheinschiffe und ein Floss auf das Wasser geschafft. Eine Wirtschaft und Musik auf dem See führten an Feiertagen Hunderte von Besuchern aus der Nähe und Ferne herbei …“
 
Seit Dezember 2011 ist der See wieder da. Toni ging auf meinen Vorschlag ein, mobilisierte noch einige Wanderfreunde, und schon wurde die Tour am 18.01.2012 bei herrlichem Wetter realisiert.
 
„Der Eichener See ist wieder da!“ ist der obligatorische Schlachtruf der Bewohner von Eichen, und dann strömen nach einer Berichterstattung in den Zeitungen viele Leute zum See, um das Naturschauspiel hautnah zu erleben. Das merkten wir auch bei unserer Anfahrt. Fast sämtliche Parkplätze an der B 518 waren belegt, und viele Leute pilgerten bereits zum See. Zum Glück konnten wir kurz nach 14 Uhr noch einen Parkplatz finden. Wir marschierten den gut ausgeschilderten Weg entlang und erreichten den See nach 5 bis 10 Minuten. Der See hatte diesmal nicht eine so grosse Ausdehnung, er war zugefroren und mit vielen Eisklumpen bedeckt. Vor vielen Jahren nutzten wir den See zum Schlittschuhlaufen. In früherer Zeit diente das Eis zur Biervorratskühlung.
 
Auch in der Vergangenheit war der See eine Attraktion. Flugs wurden Boote oder Flösse zusammengebaut und „in See gestochen“. Dabei gab es einige Unglücke. Die älteste und zugleich traurigste Nachricht stammt aus dem Jahre 1771. Damals kenterte ein Boot mit 7 Personen. 5 Menschen ertranken an der südöstlichen Ecke des Sees.
 
In einer alten Chronik wird berichtet, dass der See manchmal so schnell gekommen sei, dass den Bauern die Heuhaufen davongeschwommen seien.
 
Der See hat eine durchschnittlich Ausdehnung von 250 ×135  m und einen Pegel von 2,20 bis 2,50 m. Der höchste Pegelstand wurde 1802 mit 3,50 Meter ermittelt.
 
Nach einer alten Prophezeiung wird der See einmal sein Bett durchbrechen und den Ort Eichen unter Wasser setzen. Laut einer Sage wird bei der Überflutung der Kirchenschlüssel bis Höllstein (Steinen-Höllstein) gespült.
 
Der See steht heute unter besonderem Schutz. Seit 1942 ist er Landschaftsschutzgebiet und seit 1983 als flächenhaftes Naturdenkmal ausgewiesen und seit 2005 auch als europäisch geschütztes Fauna-Flora-Habitat-Gebiet.
 
Wie entsteht der See?
Zunächst einige Informationen zum Dinkelberg. Der Dinkelberg zieht sich zwischen Schopfheim im Wiesental und Basel über 20 Kilometer dahin. Auf dem Dinkelberg findet man zahlreiche zum Teil noch unerforschte Höhlen (bisher sind 53 bekannt), Dolinen, Karstquellen, Trockentäler, Bodenfliessen, Schlucklöcher, Bachschwinden und einen Dolinen- bzw. Karstsee (Eichener See).
 
Wie entsteht dieser See? Forscher sind der Ansicht, das Wasser werde durch ein Röhrensystem aus der untersten wasserführenden Schicht in verschiedene wasserführende Stockwerke gedrückt – und zwar so lange, bis der Seeboden überwunden ist. Der Wassertransport von der untersten wasserführenden Schicht ist nur möglich, weil in den zuführenden Röhren ein höherer Druck herrscht als in den wasserableitenden. Nach längeren Regenphasen steigt der Druck demzufolge immer mehr an, und es kommt Wasser in die oberen Schichten. Es dauert dann immer einige Zeit, bis das Wasser wieder verschwindet. Bald darauf wächst Gras über den See.
 
Messung im Pegelrohr
Hartmut Heise, ehrenamtlicher Naturschutzwart in Diensten des Landkreises Lörrach, kennt den See und das Naturphänomen sehr gut. Er macht nämlich schon seit mehr als 20 Jahren regelmässige Messungen am Pegelrohr, das schon in den 1950er-Jahren installiert wurde. Bei starken Regenfällen und gleichzeitigem Schmelzwasser kann das Wasser nicht schnell genug abfliessen, es staut sich und fliesst dann in die Doline hinein. Dies passiert bei einem Pegelstand im Messrohr von etwa 39 Metern.
 
Am 24.01.2012 waren Ewald Greiner und ich bei einer aktuellen Messung dabei. Hartmut Heise packte am Seeufer ein Fernglas aus, blickte hindurch und las auf einem Messstab, der sich in der Mitte des Sees befindet, den aktuellen Wasserstand ab. Er betrug 1,00 m.
 
Am Pegelrohr steckte Hartmut Heise ein Messband auf einer Rolle mit der sich an der Spitze befindlichen Sonde hinein und spulte langsam ab. Sobald die Sonde mit Wasser in Kontakt kommt, leuchtet eine rote Lampe an der Spule auf. Mittels dieser Methode kann man heute zentimetergenau den Pegelstand im Rohr messen. Die Berechnung ergab, dass an diesem Tag der Pegel 41,20 m betrug. Vor einigen Tagen wurden 40,60 m gemessen. Der See, den Heise als Austrocknungsgewässer bezeichnet, dürfte also in den nächsten Tagen nach den erneuten Regenfällen weiter ansteigen.
 
An diesem Tag tummelte sich ein Entenpärchen auf dem See. Enten werden nicht so gerne gesehen, weil sie scharf auf die Krebse sind. Sobald die Futterquelle bekannt ist, kommen immer mehr Enten.
 
Im See lebt der Blattfusskrebs
Der See beherbergt eine interessante und seltene Fauna. Im Wasser tummeln sich Hüpferlinge und Muschelkrebse. Eine besondere Attraktion ist der Kiemenfusskrebs bzw. Blattfusskrebs (Tanymastix lacunae), der sich nur in wenigen Gewässern Europas wohlfühlt. In Europa sind bisher nur 7 Fundstellen nachgewiesen. In Deutschland ist nur ein Fundort bekannt, nämlich im Eichner See. Die Krebse wurden  bereits 1909 entdeckt.
 
In den 80er-Jahren studierten Daniel Freiner und Ortwin Grüttner im Rahmen der Aktion „Jugend forscht“ die Lebensweise des mit 11 Beinpaaren ausgestatteten Kiemenfusskrebses. Sie brachten erstaunliche Fakten heraus. So ernährt er sich ausschliesslich von Plankton und durch Fäulnis zersetzte Pflanzenteile. Das Weibchen besitzt einen leuchtend roten Eisack. (Den Farbstoff habe ich damals im Analytischen Labor von Ciba-Geigy per Dünnschichtchromatographie näher untersucht. Der rote Farbstoff entpuppte sich als eine Karotinverbindung.)
 
Die Krebschen sind ständig in Bewegung. Hartmut Heise nannte sie scherzhaft „arbeitgeberfreundliche“ Tierchen. Faulheit kennen die Kiemenfusskrebse also nicht.
 
Sobald ein Weibchen in den Sichtbereich eines Männchens gerät, schwimmt es ihm zielstrebig nach, klammert sich fest und befruchtet jeweils eine Ei-Portion von 200 winzigen Eiern. Nach Bildung einer Dauerschale wandern diese in die rot/grün schillernde Ei-Tasche.
 
Laut Infos auf einer schön gestalteten Tafel am Seeufer, die von der Unteren Naturschutzbehörde geschaffen wurde, wiederholt sich dieser Vorgang in den nächsten Tagen. Die Ei-Pakete werden auf den Grasnarben oder Ackerboden des Sees abgelegt. Bei einer Lebenszeit von 2 bis 4 Monaten kann ein Weibchen an die 10 000 Ei-Pakete ablegen. Die Ei-Pakete überleben eine Trockenzeit von mehreren Jahren. Sobald der See wieder zum Vorschein kommt, schlüpfen die Kiemenfusskrebse innerhalb von 2 bis 3 Wochen aus den Larven. Die Krebschen können eine Grösse bis 2 cm erreichen. Sie bewegen sich elegant durch das Wasser, bevorzugt in Rückenlage. Sie sind sehr aktiv, sie bewegen sich Tag und Nacht.
 
Angela Klein aus der Abteilung Umwelt und Naturschutz am Landratsamt Lörrach gab weitere interessante Details auf der Info-Tafel am See bekannt: „Durch die Bewegung der 11 Beinpaare entsteht ein harmonisches wellenartiges Gleiten. Durch dieses wellenartige Gleiten können sich Plankton-Partikel zwischen den Beinpaaren fangen und werden so in eine zentrale Rinne gelegt. Durch den sich dabei bildenden Unterdruck wird die aufgenommene Nahrung in den Mundraum geleitet. Je nach aufgenommener Nahrung haben die Krebse eine grünliche (Grasnahrung) oder eine bräunliche (Ackerbodenpartikel) Färbung.“
 
Die Beinpaare haben eine weitere wichtige Aufgabe, sie sind Träger der Atmungsorgane. Die an den Ruderfüssen befindlichen Kiemenlappen nehmen Sauerstoff ins Blut auf. Nun wissen wir, wie der Name Kiemenfusskrebs entstanden ist.
 
Die Tafel wurde von Angela Klein und Hartmut Heise gestaltet. Gestiftet wurde die schöne mit Bildern und Text ausgestattete Infotafel von der Sparkasse Schopfheim-Zell und vom Bruuchtumsverein Eie e.V., W. Bühler, Eichen. Die alte einfache Texttafel wurde renoviert und auf die Giebelseite im Inneren der Seehütte aufgehängt.
 
Kommen wir zur Wanderung zurück. Während der Umrundung hatten wir einen schönen Blick auf den zugefrorenen und sich spiegelnden See. In der Nähe der Seehütte, bei der auch ab und zu Vereine wirten, konnte ich noch schöne Gegenlichtaufnahmen mit meiner Digitalkamera machen. Danach wanderten wir einige Zeit über den Dinkelberg oberhalb von Schopfheim-Eichen und machten noch einen Abstecher nach Schopfheim. Die ganze Wanderung dauerte 2 ½ Stunden. Danach war ein weiterer Höhepunkt vorgesehen: Einkehr im Gasthaus „Sternen“ in Schopfheim, um unsere hungrigen und durstigen Gelüste zu stillen.
Alle waren an diesem Tag höchst zufrieden – mit der Exkursion und dem guten Essen.
 
Anhang
Der geizige Weinhändler
Auf Zunftabenden, die in Baden eine lange Tradition haben, werden gern lokale Grössen auf die Schippe genommen. Dies bekam auch ein besonders geiziger Lörracher Weinhändler zu spüren (der Name braucht nicht genannt zu werden, jedermann kennt den Geizkragen). Ein Vortragender bemerkte anlässlich eines Lörracher Zunftabends, dass der Weinhändler die Belegschaft zu einer Kreuzfahrt eingeladen hat. Die Freude dauerte jedoch nicht lange, als die Mitarbeiter erfuhren, wohin es geht. Hatte doch dieser Geizkragen eine Schifffahrt auf dem Eichener See gebucht.
 
Internet
 
Literatur
Eberlin, August: „Geschichte der Stadt Schopfheim und ihrer Umgebung“, Verlag Georg Uehlin, Schopfheim 1878 (Nachdruck von 1978).
Hönig, André: „Tiefgründiger Einblick in den Eichener See“, „Badische Zeitung“, 05.01.2012.
Scholz, Heinz: „Naturdenkmäler im Südschwarzwald“, „Natürlich“, 1992-05.
 
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