Textatelier
BLOG vom: 01.09.2012

Völlerei anno dazumal: Das grosse Fressen in den Klöstern

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als ich in meinem Blog vom 28.08.2012 (Ernährungsunsinn: Dicke Kinder, Pommes, Riesenwhopper) u. a. über Vielesser schrieb, kamen mir wieder Äusserungen von Dr. Mikkel Hindhede (1862−1945), Dr. Michael Richard Buck (1832−1888) und anderen Autoren von anno dazumal in den Sinn. In meinem Archiv und in diversen Büchern stiess ich auf genussvolle Anekdoten, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
 
Schweinefutter für den Menschen
Mikkel Hindhede war Arzt, Ernährungswissenschaftler und ein Vertreter der rein pflanzlichen Kost. Er hat durch seine Ernährungslehre die Bevölkerung von Dänemark während der Blockade im Ersten Weltkrieg vor Hunger gerettet. Er plädierte für die Reduktion tierischer Produkte und den vermehrten Verbrauch von Kartoffeln und Getreide. Die Deutschen hingegen fütterten Getreide an die Schweine. Dadurch gingen wertvolle Nahrungsmittel durch den Futtermittelbedarf verloren.
 
Der Fresssucht verfallen
Hindhede schrieb in seinem Buch „Gesundheit durch richtige und einfache Ernährung“ Folgendes: „Die Geschichte kann uns eine gute Lehrmeisterin für die Überlegenheit einfacher Ernährung sein. In der Blütezeit Griechenlands wurden die Soldaten mit Feigen, Nüssen, Käse und Maisbrot gespeist (spartanische Kost). Als die Griechen später reich und mächtig wurden, wollten sie ,das Leben geniessen’ und gingen über zur Fleischkost, aber ihre Soldaten wurden dabei schlapp und dumm, was Diogenes damit erklärte, dass sie nunmehr aus Ochsen- und Schweinefleisch bestünden. Griechenland fiel, besiegt von den Römern, die von Gerstenbrot und Öl lebten. Später wurden die Römer reich und üppig; nunmehr wurden sie überwunden von den genügsamen nordischen Barbaren. Auch diese sind inzwischen längst der Fresssucht verfallen – wie es weitergeht, wird die Geschichte lehren.“
 
Es ist heute leider so, dass viele Menschen aus der Überflussgesellschaft der Fresssucht verfallen sind. Kein Wunder, dass es immer mehr dicke Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt, die immer früher mit Krankheiten konfrontiert werden.
 
Michael Richard Buck ging in seinem Werk auch auf Heilmittel ein. So empfahl er die Blätter des Basilikums bei Übelkeit, ausserdem sollen sie vor Dämonen aller Art schützen. Er hatte auch ein Rezept für Vielesser: „Basilienkraut Jemand unter das Teller gethan, macht, dass die Person nicht essen kann.“
 
Leider dürfte dieses Rezept heute nicht mehr wirken. Man könnte in das Essen Appetithemmer geben, um das Essen weniger schmackhaft zu machen.
 
Gefrässiger Mönch
Der Kapuzinermönch Johann Speidel, der um die Jahrhundertwende zum 19./20. Jahrhundert in Waldsee lebte, war kein Kostverächter. Wie er an Umfang zunahm, so schien auch sein Appetit ständig zu wachsen. Eines Tages geschah etwas Seltsames. Als er sich vor dem Abt seines Klosters verneigte, fiel aus der Kapuze seiner Kutte ein Knödel heraus. Der „Küchendieb“ musst dann das Kloster verlassen, und seine Karriere als Kapuzinermönch war ein für allemal vorbei. Er hielt jedoch theologische Vorlesungen. Seine Esslust behielt er, denn er liess sich immer wieder zu üppigen Essgelagen einladen.
 
(Quelle: „Chronik der Stadt Waldsee 330-1983“ von Michael Barczyk und Johann Sailer, Liebel-Druck & Verlag, Bad Waldsee 1984.)
 
Dazu ein passender und herrlicher Spruch von Johann Wolfgang von Goethe („Faust“): 
„Die Kirche hat einen guten Magen.
Hat ganze Länder aufgefressen,
und hat sich dabei nicht überfressen.“ 
Die Ängste des gewaltigen Essers
Hadara, ein abessinischer Jüngling, wollte sich zum Lehrer und Prediger ausbilden lassen. Er vertrug jedoch die raue Luft des Nordens nicht, bekam eine Lungenschwindsucht und starb am 23.12.1838 in Beuggen bei Rheinfelden (Baden-Württemberg). Er wurde im „Krankenzimmer“ aufgebahrt. Während dieser Zeit war auch ein Niederländer zur Ausbildung in Beuggen. Dieser hatte immer einen gewaltigen Appetit. Auch in der ersten Nacht nach dem Ableben des Abessiniers konnte er keine Ruhe finden. Immer wieder musste er an die „Schlachtplatten“ in der Vorratskammer denken.
 
Leise schlich er die Treppe aus dem obersten Stock herunter. Sein Weg führte am besagten „Krankenzimmer“ vorbei, wo der Tote lag. Da packte ihn das Grauen, und er rannte wieder in sein Zimmer, wo er sich im Bett verkroch. Kurz darauf meldete sich die Begierde nach der „Metzgete“ wieder, und er machte sich erneut auf den Weg. Das Grauen meldete sich zurück. Er stellte sich vor, plötzlich könnte sich die Tür öffnen, und der Geist von Hadaras trete herein und stelle sich ihm in den Weg. Zurück, hinauf ins Bett! Kaum im Bett, kamen die Gelüste wieder. Er redete sich ein, dass ein Toter ihm ja nichts anhaben könne. Er stürmte ein drittes Mal hinunter, erreichte wohlbehalten die Küche und verdrückte eine gehörige Portion. Am nächsten Tag fand die Köchin einige leere Schüsseln und Platten vor.
 
(Quelle: „Aus sieben Jahrhunderten der Geschichte Beuggens 1246‒1920“ von Eugen Zeller, Verlag Gottlob Koezle, Wernigerode (ohne Jahrzahl.)
 
Der dicke Monarch
Der badische Markgraf Karl Friedrich ging unter Napoleons Sonne „wie ein Salatkopf auf“ (Friedrich Strauss). Er wurde immer beleibter, er konnte nicht mehr an einem normalen Tisch Platz nehmen. Die Untergebenen fanden jedoch eine Lösung: Sie schnitten eine Einbuchtung in den Schreibtisch. So konnte er unterschreiben und regieren. Er war aber auch von seiner Selbstherrlichkeit  überzeugt. So zitierte er die „unterworfenen“ Fürsten und Grafen in sein Schloss und befahl, ihn fortan „Allerdurchlauchtigster, Grossmächtigster König, Allergnädigster König und Herr“ zu titulieren.
 
(Quelle: „Baden-Württemberg – Schatzkammer der Geschichte“, von Georg Berger, Karl Müller Verlag, Erlangen 1979.)
 
Wie der Bischof fastete
Der Bischof von Aquilea war ein Freund des guten und kalorienreichen Essens. Bevor die Fastenzeit ins Land zog, stellte er eigene Fastenregeln auf. Wahrscheinlich wollte er einem quälenden Hunger vorbeugen. Er begann die 40-tätige Fastenzeit mit 40 Mahlzeiten und liess jeden Tag eine Mahlzeit weg. Am letzten Tag der Fastenzeit hatte er immer noch eine Mahlzeit übrig, so dass er nicht hungern musste. Man kann sich gut vorstellen, wie feist und rund dieser Bischof war.
 
Dazu ein passendes Zitat, diesmal von Walther von der Vogelweide („Gedichte“): 
„Drum esst nur Pfaffen, Hühner, trinket Wein
Und lasst die dummen deutschen Laien fasten!“ 
Mönche und Prälaten (geistliche Würdenträger) waren, wenn es ums Essen in der Fastenzeit geht, erfinderisch und setzten durch, dass man Fische und anderes Getier (Biber) essen durfte. Normalerweise waren nur Brot, Wasser, Gemüse und Früchte in der Fastenzeit erlaubt. Aber viele konnten sich nicht zurückhalten und verspeisten ab und zu das Verbotene.
 
Hier ein passender Spruch von Franz Grillparzer („Weh dem, der lügt“): 
„Essen muss der Mensch, das weiss ein jeder,
und was er isst, fliesst ein in all sein Wesen.
Esst Fastenkost, und ihr seid schwachen Sinns;
esst Braten, und ihr fühlet Kraft und Mut.“ 
Nun kann man die Essgelüste der Mönche verstehen. Sie sündigten, indem sie Fastengebote übergingen, wurden dabei nicht nur rund, sondern auch voller Kraft. Schliesslich mussten sie im Kloster oder in den Klostergärten Arbeiten verrichten, Messen zelebrieren oder bei den Nonnen die Beichte abnehmen.
 
Der bayrische Hunger
Kaum zu glauben, was an der Landshuter Fürstenhochzeit an Essen aufgefahren wurde. Bei der Vermählung des Landshuter Herzog Georg und der polnischen Königstochter Jadwiga im Jahre 1475 sorgten 146 Köche für das leibliche Wohl der Gäste. Wenn man den Chronisten glauben kann, wurden folgende Tiere geschlachtet: 40 000 Hühner, 11 500 Gänse, 1537 Lämmer, 1133 ungarische Schafe, 285 Brühschweine, 232 Ochsen. Für die Speisen wurden 200 000 Eier verarbeitet. Ausgeschenkt wurden an die 20 000 Eimer Wein.
 
Die ganze Fresserei und das Drumherum kostete, wenn man dieses auf den heutigen Wert umrechnet, 15 Millionen Euro.
 
Auch Kardinäle, Bischöfe und ab und zu der Papst waren bei anderen Gelegenheiten zu festlichen Mahlzeiten eingeladen. So wurden 1308 auf Einladung des Kardinals Arnaldo Pelgru, ein Neffe Papst Klemens V., 9 Gänge zu je 3 Gerichten serviert. Anonimo Fiorentino schrieb: „Im Ganzen waren es 27 Speisen, von solcher Mannigfaltigkeit, dass, wollte man sie beschreiben, man drüber sterben würde. Meine Feder würde müde werden, und sie hat doch wahrlich noch vieles andere zu berichten. Es gab alles, was man nur will, alles was teuer, gut, besser und am besten ist. Nach den ersten 3 Gängen kam als Intermezzo ein riesengrosser Berg herein, aus lauter Wild aufgebaut: ein mächtiger Hirsch, der lebend schien und doch gekocht war, ein Wildschwein, Rehböcke, Hasen, Kaninchen (…).“
 
Die unglaubliche Fresserei fand nicht im Vatikan, sondern in der Nähe von Vignone im Piemont statt.
 
Auch in Klöstern gab es die Völlerei
Auch in Klöstern gab es Exzesse. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird ein Abt des bayrischen Monasteriums Formbach als „mässig gross und dick“ beschrieben. Ein Chronist schrieb: „Den Wein liebte er gar sehr. Ohne ihn war er nie, ohne Becher konnte man ihn niemals treffen. Dazu pflegte er viel und gut zu speisen, daher wurde er auch so dick und fett, dass man ihn niemand umspannen konnte.“
 
Die Insassen von Klöstern nagten keineswegs am Hungertuch. So wurden Rezeptsammlungen wie die aus dem Kloster Lützel (Lucelle) von 1671 bekannt. Josef Imbach schrieb dazu das Folgende: „Offensichtlich handelt es sich bei diesem Werk (,Geistlicher Kuchenmeister’) nicht um eine Abhandlung für arme Schlucker. Vielmehr scheinen die Gottesmänner von anno dazumal herzhaft zugelangt zu haben. Am Mittag und am Abend wurden in Lucelle jeweils 2 Fleisch- oder Fischgänge aufgefahren.“
 
Man muss den Mönchen zugute halten, dass sie auch an die Armen dachten und ihnen ab und zu Speisen zuschoben. Es waren aber nur einfache Speisen für das arme Volk. Die Armen sollten ja nicht verwöhnt und nicht rundlich werden.
 
Esslust der Könige
Auch Fürsten und Könige verfielen der Fresssucht. König Ludwig XVI. huldigte der Völlerei. So verzehrte er zum 1. Frühstück um 6 Uhr mindestens 4 Koteletts, ein Masthuhn, 6 Eier und einige Scheiben Schinken. Dann ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach, der Jagd. Er ass Unmengen an Nahrungsmitteln bei Zwischenmahlzeiten und zu Abend. So verzehrte er in einer nächtlichen Zwischenmahlzeit eine Poularde, etliche gesottene Eier, dazu trank er 2 Flaschen Bordeaux. Der König starb jedoch nicht an seiner Fresssucht, sondern wurde Opfer der Guillotine.
 
Auch König Ludwig XIV. war ein unheimlicher Esser. Als Liselotte von der Pfalz sich über den unstillbaren Appetit ihres Schwagers mokierte, musste sie sich sagen lassen, es sei Aufgabe der Köche, den König zu füllen, und die der Ärzte, ihn zu entleeren (Josef Limbach).
 
Und nun noch eine Episode aus unserer Zeit:
 
Unbändiger Heisshunger
Tatort vor etlichen Jahren war der Frischmarkt Hieber in Schopfheim D. Ich stand in einer Schlange an der Kasse mit einem Pralinengeschenk in der Hand. Als ich ein mir bekanntes Mitglied des Schwarzwaldvereins Wehr dazukam, bemerkte der etwas rundliche Mann: „Beim Anschauen der Süssigkeiten werde ich schon dick.“ Dann erzählte er mir eine fast unglaubliche Geschichte. Er sagte, er habe so alle 3 bis 4 Wochen Heisshunger auf Schokolade, dann könne er sich nicht mehr halten, Er müsse sie suchen und drauflos futtern. Als er wieder einmal vor Heisshunger nicht schlafen konnte, stand er in der Nacht auf, fuhr nach Bad Säckingen zur Esso-Tankstelle und kaufte sich 3 Tafeln Schokolade. „Als ich zu Hause ankam, war keine Schokolade mehr da“, sagte der hungrige Schokoladenfreund. Als ein Arbeitskollege von mir dies hörte, äusserte er: „Es gibt nicht nur Quartalssäufer, sondern auch Quartalsfresser!“
 
Literatur
Buck, Michael, Richard: „Medicinischer Volksglauben und Volksaberglauben aus Schwaben“, 1865.
Hindhede, Mikkel: „Gesundheit durch richtige und einfache Ernährung“ , gekürzte deutsche Ausgabe von Dr. L. Meyer, Johann Ambrosius Barth-Verlag, Leipzig 1935.
Imbach, Josef: „Der Weg zu Gott führt durch die Küche“, Albatros Verlag, Düsseldorf 2009.
Imbach, Josef: „Was Päpste und Prälaten schmeckte“, echter Verlag, Würzburg 1997.
 
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