Textatelier
BLOG vom: 16.10.2012

Herbst-Astern: das Scheiden und der Gruss „Ruhe sanft"

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
In den Blumengeschäften sind auch im Herbst Blumen aller Art zu kaufen. Sie kommen aus Gewächshäusern oder aus dem Ausland. Für mich gehören vor allem die Astern zur Herbstzeit. Astern gibt es in vielen Farben und Formen, klein und gross. Es gibt sie auch in anderen Jahreszeiten. Wenn die anderen Blumen in den Gärten verblüht sind und langsam verschwinden, sieht man sie immer noch.
 
Der Name leitet sich vom Stern (lat. Astrum) ab. Sie gehören zur Familie der Korbblütler; ihre Blüten sind strahlenförmig angeordnet.
 
Astern werden auch gern auf Gräber gepflanzt, denn sie sind robust und wenig empfindlich. Weil der Herbst aber auch auf den Winter vorbereitet, also an Abschied und Tod mahnt, ist diese Blume nicht bei allen Leuten beliebt.
 
So sang Alexandra, bekannt durch ihre schwermütigen Schlagertexte (Ausschnitt): 
„Wenn die letzten lila Astern auf dem leeren Beet verblüh'n,
wenn im Herd mit leisem Knistern Birkenscheite wärmend glüh'n,
wenn der Ostwind traurig singt,
das letzte Lerchenlied verklingt,
klagt auch meine Seele ihr Weh,
weint mit dem Wind und sagt Adieu
Adieu, du meine Sommerliebe ...“
 
und das Lied endet mit: 
„Könnt' ich, ihr Schwäne, mit euch zieh'n,
wenn die letzten lila Astern blüh'n.“
 
Nicht anders ist es bei den Siebenbürger Schwaben, die vor vielen Jahrhunderten nach Rumänien ausgewandert sind und sich ihre deutsche Herkunft bewahrt haben. Gesungen wird das Lied von Jürgen aus Siebenbürgen. Hier ein Ausschnitt: 
De Astern
„De Astern blähn insem äm Gärtchen
de Medcher gohn sängän verbä;
der Mon stiht iwer de Giweln,
der Härwest, der Härwest äs hä.
 
Kam, len dich nor fest u menj Schulder!
Denj Zehren se seng esi hiss.
Hekt kann ich noch fest dich umschlängen
Wi wiss wonni weder, wi wiss …
De Astern blähn insem äm Gärtchen …“
 
Zur besseren Verständlichkeit nachstehend die Übersetzung:
 
Die Astern
„Die Astern blühn einsam im Gärtchen
die Mädchen gehen singend in Reihn;
der Mond steht über den Giebeln,
der Herbst, der Herbst, der zog ein.
 
Komm, lehne dich an meine Schulter!
Wie sind deine Tränen so heiss.
Heut kann ich noch fest dich umarmen.
Wer weiss wann wieder, wer weiss …
Die Astern blühn einsam im Gärtchen ...“ 
Es geht wohl um die Erntearbeiter, die in den Sommermonaten ins Dorf gekommen waren, und die nach dem Erntedankfest wieder zurück in ihre Heimat gingen. Dabei konnte es schon einmal vorkommen, dass sich die Dorfschönheiten in diese kräftigen Männer verliebten, und dann gab es beim Abschied Tränen.
 
Gottfried Benn’s Gedicht „Astern“ berichtet von den schönen Tagen im Spätsommer und dem „goldenen Herbst“: 
„Astern , schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.
Noch einmal die goldenen Herden
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?
Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du,
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,
noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.“ 
„Schwälend“ beschreibt einen Zustand des Wartens vor der Veränderung, die der Herbst bringt, und „die Götter“ bewahren diesen Zustand noch „eine zögernde Stunde“. Der Sommer stirbt, und die Schwalben bringen „Gewissheit“.
 
Gottfried Benn als Militärarzt weist in dem Gedicht „Kleine Aster“ auch auf den Zusammenhang von Herbst, Winter und Tod hin: 
„Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muss ich sie angestossen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!”
 
Gottfried Benn kann richtig schocken! Das Gedicht ist noch vor dem 1. Weltkrieg entstanden. Interessant ist, dass er der Aster ein „Ruhe sanft” hinterher ruft, aber nicht dem Bierfahrer. Da kann man richtig ins Grübeln kommen! Dennoch, das soll uns nicht davon abhalten, uns noch ein paar Wochen an den Astern erfreuen, auch an den „Dunkelhelllila“-Blüten!
 
Quellen
Gottfried Benn: „Statische Gedichte“, Hrsg. Paul Raabe, Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2006. Nr. 130, S.16.
 
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