Textatelier
BLOG vom: 20.07.2013

Die Ehe als Lebensgemeinschaft wird lächerlich gemacht

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Die NZZ am Sonntag präsentierte im Juni 2013 im Bund Wissen den Beitrag Mythos Ehe und behandelte diesen im Zusammenhang mit der umstrittenen Homo-Ehe.
 
Ergänzt wurde der Text mit einer mehr als 100-jährigen Hochzeitsfoto, auf der 3 Paare abgebildet sind. Ein packendes Bild, das mich nicht so schnell wieder losliess. Der Kleidung nach müssen es gut situierte Paare gewesen sein. Alle sind festlich gekleidet. Die Frauen in Weiss mit dem noch heute traditionellen Blumenbouquet. Eine der Bräute trug einen mit Kräutern oder Wiesenblumen geschmückten Schleier. Die beiden andern hatten eine kunstvolle Frisur. Die Männer trugen Handschuhe. Auch ihre Kleidung tadellos, einem wichtigen Fest und dem persönlichen Stand entsprechend. Alle Personen schauen ernst und auf eine Art leblos zum Fotografen hin.
 
Unter der Foto las ich die hämische Beschriftung: „Männlicher Beschützer und Ernährer heiratet Heimchen am Herd: Die vermeintlich traditionelle Ehe um 1900.“
 
Ich begann, den Artikel zu lesen. Er widerte mich aber an. Ich legte ihn weg. Und dachte dazu: Hier will man am Fundament der Institution Ehe rütteln. Wer will das?
 
Eine Woche später, wieder in derselben Zeitung, treffe ich die erwähnte Foto nochmals an. Jetzt von Leserbriefen begleitet. Mit neuem Titel, einem Zitat der Patriarchatskritikerin Olympe de Gouges: Die Ehe ist das Grab der Liebe, mit dem aber nicht alle Reaktionen einig waren.
 
Ich kann Herrn M.G. aus Riehen nur zustimmen, dass dieser Beitrag den Eindruck erwecke, wer sich traditionell verheirate, sei ein Trottel oder Dummchen. Wer aber eine Home-Ehe eingehe, erfreue sich des grossen, erfüllenden Glücks.
 
Als ich meinem Mann die erwähnte Foto zeigte, sagte er, es habe mit der damaligen Fototechnik zu tun, dass die abgebildeten Personen etwas freudlos wirken. Um 1900 gab es noch keine Fotoapparate, wie wir sie heute benützen. Auch Schnappschüsse waren unbekannt.
 
Als noch mit Magnesiumblitz gearbeitet wurde, erklärte er mir, hätten die Personen einige Sekunden bewegungslos dastehen müssen. Sie durften sich erst wieder entspannen, nachdem der Fotograf das Zeichen dafür gegeben hatte. Darum spreche man von solchen Aufnahmen von Marmorfiguren, weil die Abzubildenden den Atem anhielten und in einer Art Starre verharrten.
 
Wissen das Fotografen von heute nicht? Oder wurde bewusst eine solche Foto publiziert, um die Ehe lächerlich zu machen? Und wenn sie das Grab der Liebe ist, wie es Olympe de Gouges gesagt haben soll, dann vielleicht darum, weil sie Liebe mit Sexualität verwechselt.
 
Exakt in der Woche zwischen den beiden Veröffentlichungen traf ich auf ein betagtes Paar, das ich als Modell einer erfüllten Ehe wahrgenommen habe. Ich kannte die beiden bis dahin nicht.
 
Sie gingen vor mir her. 2 Personen, gleich gross gewachsen. Im Gleichschritt. Besonnen. Ruhig und freundlich und offensichtlich zusammengehörend. Als ich sie überholte, grüssten wir einander. Es war mir, als verbinde diese Menschen eine gemeinsame Aura.
 
Oben auf der Krete des Friedhofs Eichbühl angekommen, sah ich von weitem den Hügelzug Lägern. Ich setzte mich auf eine Bank und schaute in seine Landschaft hinein.
 
Dann kam auch das erwähnte Paar hier oben an. Wir wechselten ein paar Worte, und es stellte sich heraus, dass der Mann erblindet war. Er könne mich nur als eine Art Wolke wahrnehmen. Allein dass seine Frau neben ihm ging, gab ihm Sicherheit. Er benützte keinen Stock. Er sagte, diesen Weg kenne er gut. Sie kämen oft hierher.
 
Er erzählte mir auch, dass er viele Jahre als Masseur gearbeitet und ihm der Arzt geraten habe, diese Tätigkeit weiterhin auszuüben. Die Kraft dafür sei immer noch da. Täglich profitiere sie davon, erzählte die Frau. Er ist über 90 Jahre alt. Die Frau nur wenig Jahre jünger. Beide strahlen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und einen beeindruckenden Frieden aus.
 
Es ist meine Überzeugung, dass die Ehe eine Lebensschule sein kann, in der 2 Persönlichkeiten so viel Bewusstsein entwickeln, dass es für beide möglich wird, sich zu entfalten und gleichzeitig einander zu unterstützen. Dazu gehört, dass Reibungen entstehen, sich beide aneinander schleifen. Und das weiss ich aus der Werkstatt meines Mannes, dass erst dann, wenn das Holz geschliffen und auch noch mit einem Lack geschützt ist, sich in der Struktur die Schönheit zeigen kann.
 
Das Paar, von dem ich erzählte, es strahlte sie aus.
 
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