Textatelier
BLOG vom: 08.08.2013

Meeresrauschen, Vögel: Wandern auf dem Trischendamm

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
An der Nordseeküste in Schleswig-Holstein, am Ende der Mündung der Elbe, sah es vor 160 Jahren noch ganz anders aus. Damals wurde begonnen, an der Küste Land zu gewinnen. Die Landstücke wurden Kooge genannt. Ein Koog ist „eingedeichtes Land“, das Synonym in den Niederlanden ist der Polder. Abgeschlossen wurde der Friedrichskoog, benannt nach dem dänischen König Friedrich der VII., 1853. Der König verkaufte das Land, auch Insel Dieksand genannt, nach Beendigung der ersten Eindeichung. Der endgültige Abschluss der Eindeichungen erfolgte erst 1933‒1935, und das Gebiet wurde damals als Adolf-Hitler-Koog bezeichnet. Weitere Landgewinnungen nördlich dieses Gebietes wurden Horst-Wessel-Koog und Hermann-Göring-Koog genannt. Nur überzeugte Nationalsozialisten wurden als Siedler zugelassen und bekamen Land zugewiesen. Damit wollte Hitler friedfertigen Aufbauwillen zeigen und machte das Gebiet international bekannt. Es diente also Propagandazwecken.
 
Nach dem II. Weltkrieg erhielten die Kooge wieder ihre angestammten oder andere Namen. Von der damaligen Gesinnung der Bewohner ist natürlich nichts mehr zu merken. Die Geschichte wird weitestgehend totgeschwiegen. Heute bemüht man sich um Touristen. Das Gebiet ist attraktiv: es gibt nur wenige grössere Orte. Das fruchtbare Land wird landwirtschaftlich genutzt. Friedrichskoog-Spitze erhielt den Status eines Nordseeheilbads.
 
Das Aufkommen von Seehunden und Heulern in der Nordsee wird touristisch genutzt. Die Fischerei hat zwar nachgelassen, aber es gibt sie noch. Krabben aus diesem Gebiet sind begehrt. Wattwanderungen bringen den Touristen die Besonderheiten der Landschaft näher. Das Wattenmeer, das grösste der Erde, erhielt den Status eines UNESCO-Weltnaturerbes als ausgezeichnetes Nationales Geotop.
 
Nach der Energiewende waren die Meereswinde und die Möglichkeit, gewonnene Elektrizität zu einem guten Preis ins elektrische Netz einzuspeisen, willkommene Voraussetzungen für die Installierung von Windkraftmaschinen. Hinzu kamen Photovoltaikanlagen. Das im Grund der Nordsee gefundene Öl wird mit Hilfe von Ölplattformen gefördert, durch eine Pipeline an Land gepumpt und dort in einer Raffinerie verarbeitet.
 
Der Mensch hat das Land dem Meer abgetrotzt. Wind und Wetter, die Gezeiten, Wasserströme und Sturmfluten gefährden den Zuwachs und verlangen Absicherungen in Form von Deichen und Dämmen.
 
In Friedrichskoog-Spitze verläuft so ein Damm 2200 m weit durch das Watt bis zum offenen Meer. Er heisst Trischendamm und sollte ursprünglich bis zur Vogelschutzinsel Trischen weitergebaut werden. Das war mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da sich ein bis zu 10 m tiefer Priel gebildet hatte. Durch den Bau des Damms veränderten sich aber die Meeresströme, sogar das Auseinanderbrechen der Insel, die auch heute noch langsam in Richtung Küste „wandert“, musste befürchtet werden, so dass darauf verzichtet wurde. Der Damm endet einfach im Meer.
 
Der Damm ist etwa 1 m breit und 3 m hoch. Die Aussenseite besteht aus Basaltblöcken; auf der Oberseite ist der Weg asphaltiert.
 
Es ist noch früh am Morgen, und es ist noch niemand auf dem Damm zu sehen. Anfänglich sehen sich die nördliche und südliche Seite noch etwas ähnlich; doch bald sieht man nördlich nur Watt und südlich eine dicht bewachsene Salzwiese, die nur ab und zu durch Tümpel unterbrochen ist.
 
Das Watt ist durch in den Boden gelassene Holzpfähle eingeteilt, es sieht so aus, als seien Grundstücke abgegrenzt worden. Teilweise sind es doppelte Holzpfähle, die in der Mitte mit Reisig ausgelegt sind. Auf der Salzwiese wachsen in Büscheln rosavioletter Strandflieder mit blau schimmernden Blütenkronen, die gelbe Strandaster und der Strandbeifuss mit seinem silbergrauen Filigranwerk.
 
Die einzigen hörbaren Geräusche sind der Meereswind und die Schreie von Austernfischern, Graugänsen und Möwen. Schafe wie auf unserer vorausgegangenen Wattwanderung sind hier nicht zu sehen.
 
Vor uns beiden ist der Silberstreifen des Wegs zu sehen, und in der Ferne hinter einem grauen Schleier befindet sich eine Bohrplattform. Sie sieht von weitem aus wie der Bug eines Ozeandampfers, auf dem ein Baukran befestigt ist.
 
Die Austernfischer sind entweder einzeln oder auseinander gezogen in kleinen Gruppen im Watt versammelt oder halten sich im Salzgras auf. Immer wieder fliegen sie hoch und lassen sich vom Wind treiben.
 
Wir laufen langsam voran und nehmen die Stille und die Natur in uns auf. Ganz am Ende des Wegs ist doch noch ein Mensch erkennbar, der den Weg vor uns gelaufen ist. Die Dame ist bereits auf dem Rückweg, und wir machen Platz, um sie vorbei zu lassen, 3 Personen nebeneinander passen nicht auf den schmalen Damm.
 
Langsam kommt die Nordsee in Sicht. Die Salzwiesen enden ebenso wie das trockene Watt, das langsam überflutet wird. Der Asphaltweg ist zu Ende, und der Weg geht noch ein Stück, durch Steine befestigt, weiter bis in die Fluten hinein.
 
Die Vogelinsel ist im Dunst nicht zu entdecken. Wir setzen uns auf grössere Steine und freuen uns über den Ausblick und die Ruhe. Bei guter Sicht hätten wir die Bohrinsel klarer sehen können und auf der anderen Seite in südwestlicher Richtung auch die Stadt Cuxhaven an der Elbmündung.
 
Der Rückweg lässt nördlich die Hochhäuser und ein Silo in Büsum erahnen. Langsam nähern wir uns wieder dem Deich. Davor sehen wir eine Reihe von Strandkörbe, dahinter das Dach des Gebäudes, das eine Reihe von Restaurants beherbergt.
 
Uns entgegen kommen einige Personen, auch eine Familie mit einem Kinderwagen. Mit der Stille, die wir geniessen konnten, wird es wohl vorbei sein.
 
Quelle:
 
Hinweis auf ein weiteres Blog zum Thema Watt
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