Textatelier
BLOG vom: 08.02.2014

Das Herz verspeisen: Unsitte der Menschheitsgeschichte

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Die syrische Regierung kämpfte nach den Worten des Aussenministers Walid al-Moallem bei seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen am 03.02.2014 einen Krieg gegen kannibalistische Extremisten. Die Kämpfer mit Verbindungen zu Al-Kaida würden menschliche Herzen essen und andere Grausamkeiten begehen (Quelle: ap).
 
Das klingt zuerst einmal unglaubwürdig. Der nächste Gedanke ist der, dass unter Menschen alles möglich ist. Menschenopfer und das Herausschneiden des Herzens sind vielfach historisch dokumentiert, z. B. bei den Azteken und anderen Völkern. Ab und zu schreiben die Medien über solche Rituale bei Satanisten und von anderen Gestörten, bei denen so etwas auch praktiziert würde.
 
Das Herz wurde lange Zeit als der Sitz der Seele angesehen; wir sprechen von Herzeleid, ein Begriff für psychischen oder seelischen Schmerz.
 
Dieses Herzeleid wird in der Literatur seit Jahrhunderten besungen. Bei der Durchsicht der Lieder der Minnesinger in einer Ausgabe von aus dem Jahre 1857 stiess ich auf einen Text mit der Bezeichnung „Gedichte auf den Brennenberger".
 
Auf den vorangehenden Seiten ist ein Gedicht des Minnesängers Reinmar von Brennenberg abgedruckt. Darin beschreibt er unter dem Titel „Entzweigetheilt“, wie er sich in eine Frau verliebt hat, die seine Liebe nicht erwidert: 
„Ihr Weisen merket, wie mir Armen ist geschehn:
Ich bin mit ganzem Leibe wunderlich entzweigetheilet.
Wo ich halb nur bin, da wähnen sie mich ganz zu sehn
Und Niemand sieht mich dort, wo doch mein bestes Theil verweilet...“ 
Das Gefühl ist allgemein bekannt und erinnert an den Spruch:
Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiss,
als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiss.“ 
Der folgende Text handelt von diesem Brennenberger, denn die heimliche Liebe ist wohl entdeckt worden, und die Angebetete ist verheiratet: 
Nach dem Volksliede
Die falschen Kläffer schlossen einen Rath,
dass Brennenberg gefangen ward,
Gefangen auf freier Strassen:
In einen Thurm ward er gelassen.
 
Darin sass er wohl sieben Jahr,
sein Kopf ward weiss, sein Bart ward grau,
sein Muth begann ihm zu brechen,
Kein Wort mehr konnt er sprechen.
 
Sie legten Brennenberg auf einen Tisch,
Sie theilten ihn recht wie einen Fisch,
Sie nahmen ihm aus sein Herze,
Das schuf dem Herrn grosse Schmerzen.
 
Sie nahmen ihm aus sein jung Herz fein
Recht wie einem wilden Schwein,
Sie legtens in einen Pfeffer
Und gabens der Schönsten zu essen.
 
‚Was ist, das ich gegessen hab,
das mir so wohl geschmecket hat?’
‚Das ist des Brennenbergers Herze,
Es schuf dem Herrn grosse Schmerzen.’
 
‚Ists Brennenberg jung Herze fein,
So schenket mir den kühlen Wein,
Schenkt ein und gebt mir zu trinken:
Mein Herz will mir versinken!’
 
‚So nehm ich dies auf meine letzte Hinfahrt,
dass ich Brennenbergs nie schuldig ward;
als reine keusche Liebe:
Die konnt uns Niemand verbieten.’
 
Den ersten Tropfen, den sie trank,
Ihr Herz in tausend Stücke sprang.
Berath, Herr Christ, die reine
Mit deiner Gnad alleine.“ 
Der 2. Teil dieses Gedichtzyklusses „auf den Brennenberger“ wird nicht mehr „Nach dem Volksliede“ genannt, sondern Nach dem Meistergesang“, und sie hat die Überschrift: „Des edeln Brennenbergers Leben und Tod". Von wem diese Verse, wie auch für die vorstehenden, stammen, ist unbekannt.
 
Die Geschichte wird hier, dieses Mal sehr detailliert, in aller Ausführlichkeit bis hin zum Verspeisen des Herzens, noch einmal erzählt. Reinmar von Brennenberg singt das Minnelied am Hof zu Österreich vor der dortigen Herrscherin, die im Text sagt: 
Und wenn du Frankreichs Königin siehst,
So richte zwischen uns Beiden:
Die dann der Schönheit Preis behält,
Die mag dir Lohn bescheiden.“ 
Der Übersetzer der mittelhochdeutschen Texte dieser Lieder der Minnesänger, auch Mannesische Sammlung genannt, Karl Simrock, schreibt über Reinmar von Brennenberg im Vorwort:
 
„...dieser rührt durch die Reinheit seines Herzens, indem er der Sage nach als Opfer der gleichen Unsitte (also selbst vermählt einer vermählten Fürstin um mehr dient als ihren Gruss) verfällt, die ihm weniger als seiner Zeit zum Vorwurf gereicht.“
 
Wer war dieser Reinmar von Brennenberg? In der Manessischen Sammlung kann man eine Miniatur bewundern, auf der ein Mord abgebildet ist. 4 behelmte junge Männer, bewaffnet mit Schwertern, töten einen jungen, gelockten, vornehm gekleideten Mann, in dem einer der vier sein Schwert ihm von oben herab in den Kopf und ein anderer seins in die Brust stösst. Der 3. Mann schwingt sein Schwert drohend über den Kopf des Opfers, dessen Name, Reinmar von Brennenberg, über der Zeichnung genannt wird. Er entstammte einem oberpfälzischen Geschlecht, das sich nach der Burg Brennenberg, 20 km östlich von Regensburg gelegen, nannte.
 
Reinmar I. ist urkundlich zwischen 1224 und 1236 bezeugt und starb 1238. Sein Sohn, Reinmar II., der als Verfasser der namentlich benannten Verse, auch Gesänge genannt, vermutet wird, ist ebenso urkundlich erwähnt und starb 1271.
 
Er hatte 4 Söhne, einer von ihnen, beim Tod des Vaters noch unmündig, war Reinmar III., und dieser wurde 1276 bei einer Fehde mit mehreren Gefolgsleuten von Regensburger Bürgern ermordet.
 
Der gewaltsame Tod lebte als Bremberger-Sage bis ins 16. Jahrhundert fort und wurde in zahlreichen Balladen besungen.
 
Wer der Autor der Verse, die über die Ermordung des Reinmar und das Verspeisen seines Herzens berichtet, gewesen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Es ist möglich, dass die berühmten Minnesänger Heinrich von Morungen und Walther von der Vogelweide daran mitgewirkt haben.
 
Von Mund zu Mund getragen verbreiteten sich die Lieder ihrer Dichter durch das deutsche Land, oft noch darüber hinaus bis nach Frankreich und Italien. Darum wurde der Name der Geliebten auch stets mit zartem Takte verschwiegen; denn sie wurden vor zahlreichem Publikum besungen. Die Lieder wurden selten schriftlich aufgezeichnet. Der Edle und der Dienstmann waren häufig dessen nicht fähig.
 
Die bedeutendste Sammlung ist aus dieser Zeit der Codex Manesse (der richtige Name ist Pariser, auch: Heidelberger) Liederhandschrift. Rüdiger Manesse, ein Ritter und Ratsherr aus Zürich, hat die Sammlung zusammen mit seinem ältesten Sohn gleichen Namens zu Anfang des 14. Jahrhunderts zusammengestellt. Die Lieder haben religiöse Inhalte, aber auch viele, die sich mit der Liebe und der Klage darüber beschäftigten und zum Tanz aufforderten:
 
„Was ich singe, das freut mich im Herzen nicht,
ich tanze, ich springe, eh dass mir Lieb’ von ihr geschicht (geschieht).“
 
Das Herz blieb bis in die neueste Zeit „gleichsam das Sammelbecken aller sinnlichen Triebe und aller idealistischen Bestrebungen…Das Herz, das war der Ausdruck für alles Unbegreifliche, für alles Unfassbare“ (Marcel Reich-Ranicki).
 
Und das ist es auch heute noch!
 
Quellen
Simrock, Karl: „Lieder der Minnesänger“, Verlag R.L. Friederichs, Elberfeld, 1857, S.246ff.
Koenig, Robert: „Deutsche Literaturgeschichte“, Verlag Velhagen und Klasing, Bielefeld und Leipzig, 1881, S.152.
Strian, Friederich: „Das Herz – wie Herz, Hirn und Psyche zusammenwirken“, Verlag Beck, München, 1998, S. 111.
 
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