Textatelier
BLOG vom: 30.07.2015

Der westliche Kulturverfall

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London


Noch gibt es Leute, die schlicht und einfach leben, mich inbegriffen in meinem Schneckenhaus. Mein philosophischer Glaube beruft sich auf bewährte Vorbilder und zehrt von der Literatur. Ich bin der Kunst zugetan und liebe die Musik. Das Schreiben von Aphorismen, Kurzgeschichten und Essays ist tief in mir verankert. Frei von Illusionen, verlasse ich mich dabei auf meine Intuition und Beobachtungsgabe. Dieser Essay ist von der Warte eines Beobachters verfasst.

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Der blinde Egoismus herrscht vor und ist der Zerrspiegel unserer Gegenwart, tief in der Geschichte der Menschheit eingebettet:  Schlachten, Eroberungen, Kreuzzüge und Völkermorde wurden und werden vom blutrünstigen Egoismus zwischen Völkern im Kampf um Vormacht entfacht. Die Sieger hinterlassen Kriegsdenkmäler. Die Stätten der Verlierer sind in Schutt und Asche gelegt. Das ist die Grundlage zum Wiederaufbau – ein Lichtblick der Hoffnung. Erich Marie Remarque hat einem seiner Bücher den Titel “Im Westen nichts Neues” gegeben, was mit dem westlichen Wertzerfall übereinstimmt.

Generationen haben mich übersprungen. Ihnen fehlen mehr und mehr Werte des Verhaltens, die das Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft fördern und stärken. Viel Geplapper wird unterm Banner der “British Values” getrieben, vornehmlich von Parlamentariern vom Stapel gelassen: democracy, the rule of law, individual liberty and mutual respect, tolerance of those with different faiths and beliefs.

Die Demokratie wird in den USA und in Grossbritannien mehr und mehr eingeengt. Der Bürger muss sich in eine Scheindemokratie einordnen. Öffentliche Proteste müssen von der Obrigkeit bewilligt werden, gemäss vorherrschenden Gesetzen, die schikanös mit immer mehr ausgeklügelten Gesetzesparagraphen aufwarten. Damit wird die Demokratie beschnitten.

Mit Gewalt werden Demonstranten von der Polizei “eingekesselt” und ihre Rädelsführer verhaftet. Kein Wunder, wenn solche Manifestationen in Krawalle ausarten. Obdachlose werden aus dem Strassenbild vertrieben. Sie sind dem Tourismus abträglich. Die Superreichen leben unbehelligt in Saus und Braus. Ihr Bankkonto entscheidet, selbst wenn es mit Schwarzgeld gestopft ist. Im schroffen Gegensatz sind die ärmsten Schlucker, Mütter und Kinder auf “food banks” angewiesen. Bettler wurden von der Metro vertrieben, es sei denn, sie können nachweisbar ein Instrument annehmbar handhaben. In Paris werden die “Clochards”, sogar nachtsüber, in der Metro geduldet. Das in der Metropole benötigte Pflegepersonal wird immer weiter vom Mietwucher in Vororte vertrieben. Wer kann schon die Monatsmiete von £ 1900 aufbringen, schlecht entlöhnt, wie sie und andere Angestellte sind?

Längst vergessen ist, wie sich “Members of Parliament (MPs)” mit unlauteren Mitteln bereicherten. Wie bestechlich manche MPs sind, wird mehr und mehr von der Presse aufgegriffen und nachgewiesen. Somit zerfrisst die Korruption, langsam aber sicher, die Demokratie selbst im britischen Unter- und Oberhaus. 738 Lords sind im “House of Lords” akkreditiert. Einer von ihnen, der verheiratete Lord Sewel, war gezwungen, am 28. Juli 2015, seine Demission einzureichen. Er wurde dabei ertappt, wie er Drogen mit einem Callgirl (Prostituierte) teilte. Das sorgte für Schlagzeilen in der Presse.  

Ehe diese Litanei die Leserschaft abschreckt, spure ich auf individuell begangene Verbrechen über, die sich beängstigend in London ausbreiten: Diebstähle, Raubüberfälle, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch von Kindern, Morde. Was sind die Auslöser krimineller Akte? Darüber wissen Kriminologen und Psychologen besser Bescheid als ich. Sie entziehen sich meiner persönlichen Beobachtung. Ich muss diese Frage von der sozialen Perspektive angehen.

Die Eltern haben einen starken und nachhaltigen Einfluss auf ihre Kinder, gefolgt von der Schule, und, wie eingangs erwähnt, von Vorbildern mitgeprägt, worunter auch die Religionen. Wo diese Einflussfaktoren fehlen, verwildert der Nachwuchs. Sie geraten in schlechte Gesellschaft. Dort wollen sie sich als Nachäffer Respekt in einem Bandenanschluss verschaffen. Natürlich gibt es auch Einzelgänger, wie der Massenmörder Anders Behring Breiwik in Norwegen, deren Beweggründe oft rätselhaft bleiben. Falsche Vorbilder, fraglos von gewalttätigen Computerspielen übernommen, können ein Auslöser zu Verbrechen schlimmster Art werden. Wo solide Werte fehlen, entsteht ein Vakuum, das zu Gewalttaten verlockt.

Eine wachsende Zahl von Menschen will imitieren, um zu imponieren. Sie werden von der Werbung verführt und überziehen ihr Budget und geraten in Schulden. Sie erliegen materiellen Werten, denn andere kennen oder anerkennen sie nicht. Das ist ihre Tragik. Andere wollen etwas vorgeben, das sie nicht sind – und schlüpfen von Eitelkeit getrieben in eine Persona, die ihnen schlecht ansteht. Sie entwerten und entblössen damit sich selbst in ihrem komischen Rollenspiel, ohne es zu wissen. Ihnen gegenüber ist Nachsicht angebracht.  

Als Schweizer möchte ich abschliessend die Schweiz als Vorbild loben, obwohl auch meine Heimat ihre Schwachstellen hat, zunehmend von den USA beeinflusst. Die Leute benehmen sich dort allgemein gesittet. Das Volk bestimmt die Grenzen staatlicher Macht. Beispielhaft schilderte Rita Lorenzetti liebevoll ihre Begegnungen mit Leuten u. a. in Zürich und begründete ihren Ausstieg aus dem Textatelier (siehe Blog vom 18.07.2015, Rita Lorenzetti: "Jetzt sage ich adieu!"), den ich nachempfinden kann, in der sich verändernden Umwelt.

 


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