Textatelier
BLOG vom: 02.09.2018

Bahnerlebnisse: Verspätungen, Sitzplatz im Gang

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D


„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, schrieb schon einst Matthias Claudius in Urians Reise um die Welt. Auch Johann Wolfgang von Goethe wusste etwas über die Reise zu berichten. Er kannte die heutige Deutsche Bundesbahn nicht und trotzdem kam er zur Erkenntnis. „Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.“
Auf meiner Reise zur Hochzeit meines Neffen in Ansbach (Bayern) kam ich zwar an, aber mit 2 Stunden Verspätung. Auch bestätigte sich ein Spruch aus Persien: „Das Beste, was man vom Reisen nach Hause bringt, ist die heile Haut.“ Wie wir später sehen werden, war die Haut heil, aber das rückwärtige Sitzpolster meines Körpers malträtiert.

Meine Reise ging von Schopfheim aus in Richtung Karlsruhe. Um den Anschlusszug von Karlsruhe über Stuttgart nach Ansbach zu erreichen, hatte ich laut Plan 10 Minuten Zeit zum Umsteigen. Dann kam das böse Erwachen. Der ICE aus Paris hatte 70 Minuten Verspätung. Geduldig wartete ich auf dem Bahnsteig. Dann rauschte der ICE ein und beförderte mich bis Stuttgart. Dort war der Anschlusszug schon weg. Ich musste eine Stunde warten, da der Regionalzug nur alle 2 Stunden fährt. Ein Beamter auf dem Bahnsteig klagte ich mein Leid. Die Hochzeit sollte um 13 Uhr in Ansbach in der Neuapostolischen Kirche stattfinden. Der Beamte äusserte, ich hätte auch über Mannheim fahren können. Dann sagte er noch „Die Hochzeitsfeier ist viel schöner als ein Kirchenbesuch.“ Dieser Trost nützte mir gar nichts.
Das Ziel Ansbach erreichte ich um 13:48 Uhr und da war die kirchliche Trauung fast zu Ende. Was blieb mir übrig als in den Posthof zu gehen, um die Feierlichkeiten mitzuerleben.

Turbulente Rückfahrt
Auf der Rückfahrt mit dem IC von Ansbach nach Karlsruhe freute ich mich auf die Pünktlichkeit und die überaus freundlichen Durchsagen. Bei jeder Station wurden Fahrgäste verabschiedet und die neuen begrüsst. Sehr beeindruckend. Da vergass ich gleich die Unpünktlichkeit der DB auf der Hinfahrt. Frohen Mutes stieg ich in Karlsruhe aus dem IC, der sehr pünktlich eintraf. Gemütlich schlenderte ich zu einem Bahnsteig und wartete auf den ICE von Karlsruhe nach Basel. Der Zug hatte 20 Minuten Verspätung. Zum Glück fuhr ein zweiter ICE ein, alle Reisenden stürmten in diesen Zug. Der Zug war überfüllt. Es gab keinen einzigen Sitzplatz mehr. Einige, so auch ich, nahmen im Gang auf Koffern Platz. Viele Fahrgäste standen oder flanierten zum Speiswagen. Eine vielleicht 60 Jahre alte Frau sass auf der Treppenstufe am Ausgang. Sie bemerkte, sie habe das schon einmal erlebt. Sie forderte Schadenersatz. Sie musste ein DIN A-4 seitiges Formular ausfüllen und einsenden. Nach 3 Monaten bekam sie Nachricht und eine kleine Entschädigung. Diesmal will sie auf eine Entschädigung verzichten. „Einen Vorteil hat so eine Bahnreise“, sagte sie, „man kommt mit anderen Reisenden ins Gespräch. Ich schätze die Kommunikation.“

Meistens schätze ich auch die Kommunikation. Dazu ein Beispiel: Auf der Hinreise nahm ich an einem 4er-Sitz mit Tischchen Platz. Gegenüber sass eine ältere Frau, die in einem Buch las. Neben mir hatte sich, wie sich später herausstellte, ein Berner bequem gemacht. Wir kamen ins Gespräch. Die neugierige Frau wollte unbedingt von ihm wissen, ob die Berner so langsam sind, wie behauptet. „Ja das stimmt, wir nehmen alles gemütlicher und langsamer“, sagte er. Dann erzählte die Frau einen Witz, der so ging:
„Der Papst, Trump und ein Schüler fliegen mit dem Flugzeug. Plötzlich kam eine Durchsage vom Piloten: ,Wir haben technische Probleme, Ihr müsst mit dem Fallschirm abspringen. Leider haben wir nur 2 Fallschirme dabei.' Trump schnappt sich einen und springt ab. Der Papst hat Erbarmen mit den Jungen und sagt: ,Ich habe schon ein hohes Alter erreicht, du bist jung, spring du!' Der Junge frohlockte und sagte: ,Wir haben ja noch 2 Fallschirme. Trump hat meinen Rucksack genommen.'“
Bei den Gesprächen verging die Hinfahrt von Basel nach Karlsruhe wie im Fluge.

Nun blicken wir wieder auf meine Rückreise. Ich sass im Gang direkt gegenüber von 2 WC`s. Ich sagte zu der 60-Jährigen, wir hätten einen Vorteil, wer einen Drang in der Harnblase verspürt, könne ja gleich in die WC´s stürmen und nicht lange das Örtchen suchen. Da konnte sie nur müde lächeln.
Was blieb mir übrig? Ich sah ab und zu durch ein Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft, auch blickte ich oft auf eine Tafel, auf der die Geschwindigkeit des Zuges eingeblendet wurde. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 239 km/h. Aber es gab auch etwas Nettes zu sehen. Attraktive Mädchen mit kurzen Hosen und Röckchen flanierten bei mir vorbei. So viele schöne Beine habe ich noch nie in einem Zug gesehen.
Wir hatten auch etwas Gymnastik. Bei jeder Station mussten wir unsere Beine einziehen, um die zur Ausstiegstür strebenden Leute vorbei ziehen zu lassen. Zum Glück machte keiner abfällige und lautstarke Bemerkungen zur DB. Wahrscheinlich deshalb, weil sich viele an die Behinderungen und Verspätungen der DB gewöhnt hatten. Mit Wehmut dachte ich an die SBB, die bei meinen Reisen in der Schweiz immer pünktlich war.

In Freiburg stiegen dann viele Personen aus, so dass ich einen Sitzplatz im Panoramawaggon einnehmen konnte. Der Zug kam pünktlich in Basel an, so dass ich den Regionalzug der SBB nach Schopfheim erreichen konnte. An diesem Tag war ich knapp über 5 Stunden unterwegs. Die Hinfahrt dauerte 7 Stunden.

Anmerkung: Wie ich im „Spiegel“ lesen konnte, sind die Züge der DB im Sommer dermassen überfüllt, dass Verspätungen an der Tagesordnung sind. 30 000 Personen reisen täglich mehr mit der Bahn. Es wurde Personal aufgestockt und so mancher Waggon mehr angehängt. Aber das war nicht effektiv genug. Was mir auffiel, war das sehr freundliche Personal in den Zügen. Das ist auch schon was.

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