Textatelier
BLOG vom: 14.09.2020

A propos tote Fische und Pandemie

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Aesch/LU


Dem geschätzten Kollegen Wernfried Hübschmann aus Hausen möchte ich für seine für mich zu diesem Aufsatz anregende «Glosse» danken; dabei noch gleich über den alten Fischnamen «Hausen» etwas hinzufügen, der wie «Förle» für Forelle der von Westfalen an den Bodensee umgezogenen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff noch bekannt gewesen sein dürfte. Das Thema Fische und Pandemie beschäftigt mich in meinen Vorträgen über Paracelsus schon seit rund 40 Jahren. Ich empfehle insofern, Hübschmanns «Glosse» sowie die hier anschliessenden Ausführungen gemeinsam zur Kenntnis zu nehmen. Jenseits von Meinungen geht es letztlich um historische Analyse.

Im Hinblick auf den Befund, dass Fische, welche zum Morgenessen oder auch sonst auf den Teller kommen, in der Regel tot sind, bleibt zum Thema Fische und Pandemie der Bericht von Theophrastus Paracelsus (1493 – 1541) aus dem «Volumen Paramirum» der 1520er Jahre anzumerken:

«Wann du siehest an den Oberflächen der Flüsse und der Seen und der Weiher eine grosse Menge toter Fische, wie seit vielen Jahren nicht erhört ist worden, so wisse, dass bald darauf ein grosser Sterbet unter den Menschen nachfolget; denn das Arsenik, das die Fische herfürtreibt, tötet auch die Menschen, aber später als die Fische.»

Noch zum Stichwort der «Glosse», in den mittelalterlichen Handschriften Randbemerkungen oft sprachlicher Natur. So beispielsweise die hochbedeutenden Glossen des Humanisten Heinrich Glarean (1488 – 1563) aus Mollis/GL an die Adresse von Zwingli über die Ursulalegende in Köln, auch über die wunderbare Orgel im dortigen Dom, deren Klangbeschreibung jedoch die wahnhafte Zerstörung der Orgeln in Zürichs Grossmünster, Fraumünster und Peterskirche im Rahmen des  Bildersturms nicht verhindern konnte.

Zu den Kölner Glossen des Glarner Humanisten gehört auch die Beschreibung des Grabes von Albertus Magnus (1200 – 1280), dem grandiosen Universalgelehrten, auch Schilderer des Eisvogels und einem der besten Fischkenner des deutschen Mittelalters. Damit wäre ich endlich wieder beim Thema «Fische zum Frühstück», wobei man jedoch gemäss Friedrich Dürrenmatt in der Schweiz und im oberschwäbischen Raum dafür «Morgenessen» zu sagen pflegt, um mir hier eine im Sinn der Textsorte glossarische Anmerkung zu leisten.  

Als einer der Begründer der systematischen Betrachtungsweise in der Biologie (auch Heilfpflanzen) unterschied Albertus Magnus einerseits den von der Nordsee rheinaufwärts ziehenden Lachs, den er Stint nennt, ferner noch Salmen, vom Donaulachs andererseits, genannt huchen, (Salmo hucho)

Die Unterschiede beim Fischbestand führte der von Lauingen an der Donau gebürtige Albertus auf die stark abweichende Temperatur des von der mittelalterlichen Klimaerwärmung stark betroffenen Rheins im Vergleich zur Donau zurück. Für Albert war der Rhein ein «warmer», die Donau hingegen ein «kalter» Fluss. Dies ist im 10. Jahrhundert bereits dem heiligen Bischof Ulrich von Augsburg aufgefallen, der bekanntlich an einem warmen Sommer über den Rhein gewatet sein soll. Weniger in Betracht fiel für Albert den Grossen die Herkunft der Fische von der Nordsee bzw. dem Schwarzen Meer. Vom Schwarzen Meer her kam bekanntlich im Mittelalter auch noch der Europäische Stö nach Budapest, Wien und sogar bis Lauingen heraufgeschwommen, dem in der Nähe Dillingen gelegenen Geburtsort Alberts des Grossen. Hier wurde der Fisch Hausen genannt. So wie die Forelle damals noch je nachdem Waldfisch (in den Flüssen und Bächen) oder dann fornha (im Bodensee) genannt wurde. Die Bezeichnung Föhre oder Förle war bei den Bodenseefischern noch zu Urgrossvaters Zeiten geläufig.

Noch spannend ist es, bei dem meistenteils in Köln lehrenden Albertus Magnus nachzulesen, dass etwa die Flundern, je nachdem botha (vgl. «Butt») und plateissen genannt, in Köln und Umgebung, von der Nordsee her kommend, noch oft gefangen wurden. Das die Fischenz betreffende Wissen der Mönche und auch Nonnen, etwa Hildegard von Bingen, hängt naheliegend mit der Fastenküche zusammen.

Dass Albert der Grosse, 1260 bis 1262 gegen seinen Willen vom Papst zum Bischof von Regensburg ernannt (weswegen er zurücktrat, sobald die wichtigsten Reformen unter Dach waren), zu seiner Amtszeit als Bischof ähnlich wie Rudolf von Habsburg in Wien zur Fastenzeit den kostbaren Laich des Huchen serviert bekam, beim von Albert vielzitierten persischen Gelehrten Avicenna Xaviar genannt, konnte ihn nicht davon abhalten, die kirchliche Karriere zugunsten der von ihm lebenslang gepflegten wissenschaftlichen und theologischen Forschung hintanzustellen.

Für mich persönlich aber war Albert stets ein grossartiger Vogelkenner. Zum Beispiel konnte er die an Gewässern heute noch immer häufige Bachstelze, bei Hildegard von Bingen waterstelc genannt, bei den Nonnen von Villingen und St. Gallen wasserstelzle, von der Schafs- bzw. Gebirgsstelze unterscheiden. Die letztere benamste er als beghestelc, also die gelbliche Stelze (motacilla flava im Gegensatz zu motacilla alba, der Bachstelze nach Linné). Diese Benennungen scheinen mir umso reizvoller, als die durch ihre gelbbeige Tracht bekannt gewordenen Beginen, die in Frauenhäusern relativ freilebenden spirituellen Ledigenengemeinschaften, sich von den Dominikanerinnen durch die genannte beige Tracht unterschieden. Wobei nun aber die Dominikanerinnen wie der männliche Hauptzweig des Ordens schwarzweiss gewandet waren, was dem Federkleid der Bachstelze entspricht. Der Logiker, und Albert gehörte zu denselben, spricht hier von Analogie.

Nach dem gleichen, von Linné dann übernommenen binären Prinzip benannte Albertus nicht nur Säugetiere, darunter die für ihn keineswegs teuflische Fledermaus, sondern auch Vögel und Fische. Darüber hinaus wurden auch «Gegenstände» der unsichtbaren Welt auf diese Weise systematisiert, so etwa die neun Chöre der Engel nach Dionysios Areopagita und die verschiedenen Kategorien der Teufel und Unterteufel, von denen bekanntlich der durch Goethe berühmt gewordene Mephistopheles nur zu den sogenannten dienstbaren Geistern gehört. Rein logisch ist das binäre Einteilungsprinzip nicht auf biologische Existenzen angewiesen, sondern lässt sich auf schlechthin jede Gattung der sichtbaren und der unsichtbaren Dinge ausdehnen. Ein Befund, der auch nach der Erfindung der elektronischen Datenbearbeitung nicht an Aktualität verloren hat.

Nachträglich kann noch hinzugefügt werden, dass Definitionen natürlich oft praktischen Bedürfnissen angepasst werden. So galt es früher noch als Voraussetzung für jede einzelne Art der Pandemie, dass damit ein deutlicher, und zwar kausal hauptbestimmender Einfluss auf die Sterblichkeit einer Region, den sterbet nach Paracelsus, zu erzielen war, etwa in Richtung einer epochal nachweislich dominierenden Todesursache; um damit die entsprechenden politischen Massnahmen zu rechtfertigen. Dies ist heute nicht mehr oder nur noch bedingt der Fall. Mit medizinischer Aufklärung würde ich es nicht verwechseln. Über die Anpassung des Sprachgebrauchs an die politischen Bedürfnisse hat sich indes nicht Albert der Grosse im 13. Jahrhundert, sondern 700 Jahre später eindrucksvoll der Schriftsteller George Orwell geäussert.

Das Grab Albert des Grossen ist heute noch in der Kirche St. Andreas in Köln zu besichtigen.

 
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